Frankfurter Künstler
Das heimliche Thema heißt Verwandlung
Acht zeichnerische Positionen Frankfurter Künstler: Eine Schau in der Ausstellungshalle Schulstraße 1A

Andreas Gärtner, Villa Savoye, Fotografie, Serie aus zwölf Prints, 2009.
13. Juli 2010 Mancher Tag sorgt früh für eine Überraschung. "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt." Tja, mag man sich da mit dem unglücklichen Helden der "Verwandlung" und also mit Franz Kafka denken, "dieses frühzeitige Aufstehen macht einen ganz blödsinnig." Und da ist womöglich etwas dran. Indes, Künstler, haben wir einmal gehört, schlafen in der Regel ein, zwei Stündchen länger als ein Vertreter wie Herr Samsa. Und kommen doch auf die merkwürdigsten Ideen. Zum Glück, ist man angesichts der acht durchweg starken zeichnerischen Positionen in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A geneigt zu sagen.

Dabei haben die Arbeiten etwa von Zero Reiko Ishihara, die sich mit ihren "Metamorphosen" explizit auf Kafkas Erzählung bezieht, von Jan Schmidt oder auch Thomas Hombachs in installativer Hängung präsentierte Blätter auf den ersten Blick wenig gemein. Jürgen Krause zeigt wieder einmal seine mit dem Messer bis auf die blanke Mine gespitzten Bleistifte und eine neue Folge der wunderbaren "Rasterhandzeichnungen". Christoph Borowiak ist mit so akribischen wie irritierenden Miniaturen vertreten. Andreas Gärtner schließlich realisiert sein Konzept nicht etwa mit Bleistift auf Papier, sondern löst die Welt im Medium der klassischen Schwarzweißfotografie oder der Installation gleichsam grafisch auf. Und doch kommen diese Positionen verblüffend selbstverständlich miteinander aus.

Aneignung wird zu Auflösung
Was sie verbindet, ist denn auch weniger ein Stil oder eine Handschrift, nicht einmal die ausschließliche Konzentration auf ein Medium oder ein durchweg vorherrschender konzeptueller Ansatz. Es ist vor allem die künstlerische Haltung, die hier mehr, dort weniger ausgeprägte Lust am Experiment etwa und die Konzentration auf den Prozess. Der Faktor Zeit auch, der für nicht wenige der überwiegend in Frankfurt lebenden Künstler Thema ist. Diese Künstler blicken auf die Dinge, auf die Welt und wie sie sich darstellt, aus durchaus eigenwilliger Perspektive und interpretieren sie neu.

Das gilt für Krauses intensive Arbeiten, die immer wieder manisch wirken und einen ihn ihren Bann ziehen, geradeso wie für Konrad Hasses singuläres Werk potentiell endlos wuchernder, unter der Lupe mit dem Tuschestift entstehender Systeme von Chaos und Ordnung, Verdichtung und Auflösung. Jan Schmidt zeichnet derweil mit der Radiernadel die Craquelés - und nichts sonst - in der Oberfläche alter Meister in einen monochromen, akribisch angelegten Kreidegrund, während Kristin Lohmann für ihre zart-poetischen "Streichholzzeichnungen" buchstäblich mit dem Feuer spielt. Und doch sind es vielleicht mehr noch die haarfeinen "Blütenblätter" Christoph Borowiaks, der anatomisch exakt erfasste "Rücken" oder die Muskeln, Sehnen und Gefäße einer "Achselhöhle", die zurückführen zum heimlichen Thema der Ausstellung wie aller Kunst: der Verwandlung.

Denn wiewohl man weiß, was man sieht, der Gegenstand mit größtmöglicher Akkuratesse erfasst ist und man derlei womöglich gar aus Büchern kennt, scheint sich das Bild beinahe mit jedem Strich und jedem Detail weiter von seinem Motiv zu entfernen, die Aneignung beinahe wie von selbst zu seiner Auflösung zu führen. Im Grunde gleichen alle diese Bleistiftzeichnungen von Borowiaks ebenso lakonischer wie verstörender, weil angesichts seines bisherigen Schaffens existenziell berührender Malewitsch-Paraphrase einem schwarzen Loch: Bei genauerer Betrachtung ist noch jedes dieser Blätter ganz und gar abstrakt.

Die Schau in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A ist bis 1. August mittwochs und donnerstags von 18 bis 20 Uhr, freitags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet.



Von Christoph Schütte
F.A.Z.

Ausstellung Entblößung des Bleistifts.
Von Dorothee Baer-Bogenschütz

Was man sieht, ist, was er tut. "Ich ziehe Linien, frei Hand, längs und quer wie beim Karopapier", sagt Jürgen Krause. Eben das hängt nun an der Wand der AusstellungsHalle Schulstraße 1A: kariertes Papier. An konzentrierten Juni-Tagen in Handarbeit hergestellt. Von "Rasterhandzeichnung" spricht der von Thomas Bayrle geschulte Künstler. Minimalismus als Meditation. In der Vitrine daneben lagert das Handwerkszeug des Zeichners. Lauter Bleistifte. Sie sehen komisch aus. Und wären auch ohne schützende Abdeckung nicht zu greifen. Denn: Krause stößt zum Kern vor: "Ich schneide rund um Bleitstiftminen das Holz in Spänen weg bis an die Stiftenden." Bis zur Entblößung des Bleistifts. Insofern handelt die Ausstellung, die "zum Thema Zeichnung" innerhalb der Reihe "Kunst in Frankfurt" aufgeblättert wird - insgesamt fesseln acht charakteristische Hand-Schriften -, auch vom Minenlegen.

Durchweg offenbart sie einen konzeptuellen Ansatz. Thomas Hombach bedeckt die Stirnwand der Halle mit Formaten zum assoziativen Gebrauch. Er selbst sagt über seine Arbeitsweise: "Im Jahr 2003 zeichnete ich eine Jagdszene. Meine Frau las mir folgenden Satz des Philosophen Nietzsche vor: "Es gibt kuriose Schützen, welche zwar das Ziel verfehlen, aber mit dem heimlichen Stolz vom Schießstande abtreten, dass sie etwas anderes getroffen haben."

Immer formvollendet präsentiert sich die an den Geheimnissen der Biologie interessierte Zero Reiko Ishihara: "Spannend ist für mich, herauszufinden, welche Wesen die Welt bilden und welches System sie innehaben." Unterdessen versucht sich die Künstlerin passioniert an der Schöpfung neuer Lebewesen auf dem Papier. "Die Verwandlung" heißt eine Serie von Zeichnungen. Kein Schelm, wer dabei an Kafka denkt.

Dass Christoph Borowiak aus einer anderen Welt kommt, sieht man sofort: Der Mann hatte schon mal ein Anatomiebuch in der Hand. Seine Zeichnungen - "Blütenblatt", "Achselhöhle" - sprechen Bände. Subkutan gedacht, akribisch angelegt sind die Strichführungen, die Faserbildung förmlich zu substituieren suchen.Borowiak hat Zahnmedizin studiert, zudem Kunstgeschichte und Philosophie gehört und Hermann Nitschs Städelschul-Klasse besucht.

Unter die Haut - berühmter Gemälde - gehen auch die Craquelé-Werke von Jan Schmidt. In weißen Grund ritzt der gebürtige Wiesbadener, der in Frankfurt Schüler von Ayse Erkmen war, die Vergänglichkeit, indem er die Haarrisse kopiert, die sich mit den Jahren auf Bildern bilden. Die Alterungserscheinungen der Alten Meister mit der Lupe suchend: Dabei könnte sich der Betrachter ertappen. Doch: Who is who? Unmöglich die Identifikation. Hängen da "Hamlet und Horatio auf dem Friedhof" oder "Der büßende Hieronymus und ein junger Karmelitermönch"? Gemälde im Städel knöpft sich Schmidt vor. Und denkt schon an den eigenen Nachruhm. "Da ich dieselben Materialien verwende, werden auch meine Bilder eines Tages ein Craquelé bekommen. Dann überlagern sich zwei Alterungsprozesse. "Weiteres wird ausgependelt: Wurmartig ringeln und schlängeln sich organisch wirkende Gebilde über die Bildfläche".

"Regelloses rhizoides Wachstum" wurde darin gesehen. Indes: Regellos funktioniert die Produktion mitnichten. Diese Werkgruppe entsteht in einer strengen Versuchsanordnung halbautomatisch mit Hilfe eines Akkuschraubers, in dem ein Bleistift steckt. Dessen Spur auf dem Papier steuert der Künstler, indem er das jeweilige Blatt dreht. Letzten Endes behandelt Schmidt die Zeit, die in der Kunst steckt. Und raus will.

Frankfurter Rundschau, 23. Juli 2010