Leere Platten, dicke Bäuche
Malerei von Evangelia Pitsou in der Frankfurter Ausstellungshalle

Von Christoph Schütte

Ein paar Jahre schon hat sie in Frankfurt nicht mehr ausgestellt. Gleichwohl dürfte es nicht eben wenige in dieser
Stadt geben, die zumindest eine Arbeit der griechischen Künstlerin Evangelia Pitsou aus eigener Anschauung
kennen, womöglich gar intensiv studiert haben oder, auch das ist denkbar, Tag für Tag und ohne einen Blick an ihr
vorübergehen. Vor sechs Jahren malte sie, fast wie die alten Meister längst vergangener Zeiten, bei Wind und Wetter
den Bogen der Alten Brücke am Sachsenhäuser Ufer aus. Seither tummeln sich unter tiefblauem Himmelsgewölbe,
fast wie im richtigen Promenadenleben am Main, Pferde, Müll, auch ein paar Jungs, die zufällig vorbeiflanierten und
ein wenig Zeit hatten, der Malerin Modell zu stehen.

Stillebenartige Arrangements finden sich ebenso wie organisch Wucherndes oder eine Serie merkwürdiger Porträts
von prallen, straffen, recht dicken Bäuchen auch über offenem Gürtel und nicht zuletzt ein alter, wohl verlorener Schuh.
Ein paar Minuten nur von hier entfernt, in der Ausstellungshalle Schulstraße 1a, beweist die 1955 geborene Städel-
schulabsolventin nun, wie treu sie sich und ihrer Kunst geblieben ist. Und wie sehr sich ihr Repertoire zugleich erweitert
hat. Immer noch gehören etwa Stilleben und Porträts zu ihren bevorzugten Sujets, auch wenn sie sich an den einst so
häufigen Bäuchen offenbar ein wenig satt gesehen hat. Allerweltsgesichter möchte man die Porträtierten nennen, doch
das wird den Menschen und den Bildern nicht gerecht.

Zwar findet Pitsou ihre Modelle in aller Regel buchstäblich auf der Straße, trifft sie auf den Plätzen und Gassen ihres
Viertels. "Alltäglich" freilich trifft die Motivik und das Interesse dieser Künstlerin wohl besser. Denn immer wieder geht
es in ihrer in der unmittelbaren Anschauung entwickelten Malerei um Menschen, Dinge oder ums Detail, das sich der
Wahrnehmung entzieht, weil es so selbstverständlich, vor allem aber flüchtig, der Aufmerksamkeit vielleicht nicht wert
erscheint. Auf den Porträts sind es meist ältere Menschen mit Falten, Grübchen, Schatten da und dort, Gesichter also,
die etwas zu erzählen haben, die sie mit schnellem Strich auf Leinwand bannt und, gerade wie vor Jahren schon in
Frankfurt, jetzt auch auf nackte Mauern, Wände ihrer Heimatstadt Athen, wo sie mittlerweile wieder lebt. Dennoch sind
es zunächst die Stilleben, die den nachhaltigeren Eindruck hinterlassen. Leichthändig und zugleich mit pastosem Pin-
selstrich arrangiert sie Teller, Platten und Terrinen, zur Hälfte abgeräumt nach opulentem Mahl, da und dort ein Soßen-
rest, ein, zwei, drei Löffel noch von diesem oder jenem, ein paar Oliven und ein Stückchen Käse, das niemand mehr
geschafft hat, Gläser, Dosen, Aschenbecher oder jene Kerze, die just in dem Moment endgültig erlischt: Beobachtungen
des Alltäglichen, auch hier, gerade eben nach dem großen Schlemmen, wo die Festtagstafel niemanden mehr wirklich
interessiert und alle sich erhoben haben.

Fast schwebend dieses Arrangement, vor einem mit breitem Pinsel und scheinbar nachlässiger Geste hingehauenen
Hintergrund. Und nicht zuletzt sind es in ihrer nach 1999 zweiten Einzelausstellung an diesem Ort Pitsous Landschaften
und vor allem ihre zur Abstraktion tendierenden Wolkenformationen, die einen ganz eigenen, weiterführenden und in erster
Linie malerischen Akzent setzen. Fallen hier in dunkel dräuender Verdichtung schwerelose Massen, wälzen sich vorwärts,
rasen und verharren, erscheinen dort, schäumend, fließend, flüchtig und in Fetzen, all die ephemeren Wesen: eine bisher
eher unbekannte Seite ihrer Malerei. Und eine echte Überraschung.

Bis 27. November Mittwoch und Donnerstag von 18 bis 20 Uhr sowie von Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.September.2005