AUSSTELLUNGSHALLE - Schulstraße 1a HH - 60594 Frankfurt a.M. - Tel.:069/96200188
Pressestimmen



 

In der Arena

atemlose Bilder in der Schulstraße 1A

Atemlos. So erscheinen die Bilder von Kai Teichert. Als ob sie in einer Affengeschwindigkeit gemalt worden seien. Sie sollen den Betrachter packen durch schiere Bewegtheit. "Eine Art Action Painting für Fortgeschrittene", meint Robert Bock, der sie jetzt in Frankfurt ausstellt. Die Dynamik betrifft sogar die Rahmenbedingungen. Teichert pfeift auf Distanz schaffende Einfassungen für seine Riesenformate. Die Leinwände werden direkt an die Wände getackert. Ausstellungsräume sind für den Künstler schließlich keine heiligen Hallen, bloß Folie für sein Welttheater. Aus unterschiedlichsten Quellen speist es sich. Der Maler, der auch als Bildhauer arbeitet, wurde 1965 in Würzburg geboren. Er hat nicht nur Kunst studiert - zunächst in Karlsruhe und später an der Städelschule bei Christa Näher -, sondern bis zum zweiten Staatsexamen auch Medizin an der Uni Frankfurt.

"Big Illness", große Krankheit, heißt das momumentalste der in Acryl realisierten Werke, die nun in der Ausstellungshalle 1A in Sachsenhausen zu sehen sind. Präsentiert wird ein vor zwei Jahren entstandener "Bildzyklus" in Schwarzweiß, der sehr eigenartig wirkt. Im Gegensatz zu den großen Formaten steht die Ästhetik der französischen Handzeichnung des 18. bis 20. Jahrhunderts, in die Teichert mit offenkundiger Wonne abtaucht. Von Watteau über Degas bis hin zu den Surrealisten: Die Einflüsse liegen auf der Hand. Geschickt jongliert Teichert, der inzwischen in Berlin Fuß gefasst hat und an der dortigen Hochschule für Künste Malerei lehrt, mit den Errungenschaften der Heroen der Kunstgeschichte sowie ikonografischen Formeln.

Vom Totentanz bis hin zum expressionistischen Big Bang, alles ist drin. Hüllen fallen, Gestirne explodieren, Tänzerinnen drehen durch. Mal tragen sie Reifrock, mal Tutu, selbst "oben ohne". Hüften werden geschwungen, Glieder verrenkt, Hälse gereckt. Taillen rotieren. Stillstand ist tabu. Von unsichtbaren Kräften getrieben wirbeln Nachtgestalten und Tagträumer übers Bildgeviert, das Teichert mit groben Pinseln, bisweilen gar kaputten, oder mit Bürsten traktiert. Doch die Optik ist die einer Tuschpinselzeichnung.

Leicht verliert der Betrachter den Überblick - ist dies dort ein Blasinstrument, aus dem ein Flaschengeist flieht? Metamophosen finden statt, die man nicht immer nachvollziehen können soll. Teichert zelebriert eine altmodisch anmutige Verrätselung des Realen und kalkuliert den Jahrmarktseffekt mit ein. Hereinspaziert, sagt das erste "Bild" der Ausstellung. Es ist dreidimensional, das begehbare Zelt für Juliette. Außen Nessel, innen bemalt. Die Zeltbahnen sind vom Boden bis zur Decke schwarzweiß illustriert. Von "Illustrationen zu einem verlorenen Text" ist die Rede, doch man vermisst gar keinen. "Eine Erzählung in der Tradition der schwarzen Romantik, die ihr Personal aus Träumen und Albträumen rekrutiert", soll es gewesen sein.

Aber die Details sind nicht wichtig. Wichtig ist der Eindruck großer Gefühle. Das Geschehen scheint angesiedelt zwischen Varieté und Stierkampfarena. Ein einzelner Stuhl steht im Zelt, stellvertretend für die Zuschauertribüne. Doch auch außerhalb der Zeltplane ist er in dieser schwungvollen Ausstellung allgegenwärtig: Der Sog der Manege.

Von Dorothee Baer-Bogenschütz

(Frankfurter Rundschau vom 30.06.2003 )

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Frauen im Badezuber

Malerei von Kai Teichert

Man sollte sich setzen. Mitten hinein in dieses Zelt, dann: sitzen, schauen, warten. Dann wird es schon anfangen, sich zu drehen, dieses seltsame Panoptikum, wo die Sterne vor dem nicht eingeladenen Gast liegen, als seien sie gerade vom Himmel herabgefallen, schattengleiche Wesen von kleinen Teufelchen belauert und besprungen werden, und es würde einen nicht wundern, ertönten leise Stimmen, die ihre skurrilen, schaurig-morbiden Geschichten erzählten aus einer anderen Zeit. Daß in einem solchen aus Nesselbahnen zusammengenähten und von innen ausgemalten "Zelt für Juliette", wie es Kai Teichert in die Frankfurter AusstellungsHalle Schulstraße IA gestellt hat, in Berlin von bekannten Schauspielern aus dem Werk des Marquis de Sade gelesen wurde, ist nicht wirklich überraschend.

Die meisten der ausgestellten großformatigen Arbeiten des 1965 in Würzburg geborenen Künstlers, der zunächst in Karlsruhe Bildhauerei und anschließend Malerei bei Christa Näher studiert hat, sind durchweht von einer fernen, schattenreichen und wie geträumten Hinterbühnenerotik, die den Betrachter leicht als Voyeur erscheinen läßt, Doch Genaues weiß man nicht.

Barocke Assoziationen stellen sich ebenso rasch ein wie dunkel Erinnertes aus schwarz- romantischen Erzählungen sich hinzugesellt, das sein Echo in offenbar surreal inspirierten Szenen findet. Als "schwarzweiße Illustrationen zu einem verlorenen Text" hat Teichert seine mit Acryl und Pigmenten auf rohem Nessel ausgeführten Bilder charakterisiert, doch Fragmente dieser Erzählung schweben frei im Raum.

Und der Betrachter, mittendrin, darf die Fäden heiter-vergnügt weiterspinnen. Alle diese seltsam graphisch anmutenden Arbeiten, deren "Blatt"-Charakter dem großen Format zum Trotz durch die Präsentation noch unterstrichen wird, sind be stimmt von dynamischer, heftig kreisen der Bewegung, die sich scheinbar selbst verständlich aus dem Malvorgang ergibt. Mit einem groben, eigentlich kaputten Malerpinsel setzt der in Berlin lebende Künst ler in souveräner, schwungvoller und weitausholender Geste seine lebensgroßen Figuren ins Bild wie auf eine Bühne. Dort tanzen oder taumeln sie, putzen Frauen sich heraus im Badezuber oder werfen mit ihren rotierenden Reifröcken Herren von niederem Adel aus der Bahn. Manch einer scheut das Licht und gibt nichts von sich preis als seinen dunklen Schatten. Das Stück mag verlorengegangen sein, der Vorhang gefallen, doch es geht immer weiter.

schü

(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.06.2003 )

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Die Malerei ist eine existentielle Grundkraft

Nach mehr als 30 Jahren Lehrtätigkeit an der Städelschule geht Hermann Nitsch in Pension und wird mit einem großen Fest verabschiedet.

Mit seinem altmodischen schwarzen Gehrock und dem grauen Rauschebart könnte man Hermann Nitsch auch für einen freundlichen Landpfarrer halten. Und auf Vroni Schweglers sonst so realitätsnahem Porträt schwebt sogar ein Heiligenschein über dem Haupt des Wiener Künstlers, der mit Ende des Sommersemesters nach mehr als 30 Jahren Lehrtätigkeit an der Städelschule in dieser Woche in Pension geht. Der Abschied wird groß gefeiert: Ein öffentliches Fest für den scheidenden Städelschullehrer findet am Donnerstag abend mit Musik, Speisen und naturreinem Prinzendorfer Wein in der Dürerstraße 1o statt, und von Mittwoch an präsentiert sich Hermann Nitschs aktuelle Klasse für interdisziplinäre Kunst.

"Mit den Fingern in das Fleisch der Malerei greifen" sollen die Studenten von Hermann Nitsch: Das deftige Heiligenschein-Bild und die kleinen expressiven Tiergemälde der jungen Städelschulabsolventin Vroni Schwegler, "meine einstige Lieblingsschülerin, sie geht ihren Weg", wie der Kunstprofessor äußert, mögen dieses Motto exemplarisch illustrieren. Diese Werke sind ebenfalls von Mittwoch an in Robert Bocks Ausstellungshalle Schulstraße ia zu sehen-. Hier werden Arbeiten von 4o Künstlern gezeigt, die zwischen 1971 und 2003 aus der Masse von flermann Nitsch hervorgegangen sind. Daß er seine eigenen Epigonen ganz offensichtlich nicht gezüchtet hat, wird schon auf den ersten Blick in dieser Schau sichtbar, für die Nitsch selber eine - manchmal ziemlich eigenwillig wirkende -Auswahl getroffen hat. So hat er von seinem 1966 geborenen Meisterschüler Lionel Röhrscheid nichts aus der aktuellen Kunstproduktion ausgesucht, sondern aus dessen gleichsam klassischer Malerei der Städelschulzeit, ein Selbstporträt und eine Organlandschaft in sanften Brauntönen. Wer hätte aber gedacht, daß ausgerechnet Hermann Nitsch ein ungewöhnlich methodischer Lehrer ist?

Nichts von "Orgien-MysterienTheater", nichts von Aktionskunst. In seinen Massen ging es um Farbstudien, um chromatische Skalen, um Rot-Abstufungen "bis zum Kaltwerden', um die Töne des Regenbogens: "Die Studenten sollen ein Gefühl für Farbe bekommen", sagt Nitsch. Bei einem dieser Farb- und Form-Versuche, erinnert sich Röhrscheid, sei die Aufgabe gewesen, mitgebrachte Gerüche - etwa Kaffee oder Schnaps -auf einem siebenfach gefalteten DIN-A5-Blatt mit Farben assoziativ darzustellen und damit möglichst einen "Gegenwert" zum Geruch zu bilden. Noch heute hat der junge Frankfurter Künstler die "äußerst subjektive" Leseliste von Nitsch, die mit der Bagavatgitha anfängt und mit der Wiener Gruppe um H. C. Artmann und Gerhard Rühm endet.

Es gab intensive Kunstbetrachtungen bei Nitsch, und es gab viel klassische Musik - mit anschließenden Vorlesungen. Bruckner und Mahler oder Schönberg hätten bei seiner Lehrtätigkeit an der Städelschule eine große Rolle gespielt: "Ich hatte ja schießlich eine Klasse für interdisziplinäre Kunst, und die Vielfalt werde immer wichtiger", sagt der Städelschulprofessor.

 

Die Vorlesungen von Nitsch seien eine Offenbarung für ihn gewesen, sagt Mirek Macke, weil er seine Kindheit in einfachen Verhältnissen in Polen verbracht habe. Und bis heute schaffe er es nicht, den großen Künstler zu duzen, was dieser ihm wie allen anderen Studenten angeboten habe. Macke ist in der Schulstraße mit zwei prachtvollen, gestisch bewegten Farbtafeln im Riesenformat vertreten, die noch aus seiner Studentenzeit in den frühen neunziger Jahren stammen: Heute sei Nitsch vermutlich enttäuscht von ihm, weil er nicht mehr male, sondern ganz andere Dinge mache, etwa den Lola-Montez-Raum betreibe.

Für Hermann Nitsch ist "die Malerei eine existentielle Grundkraft, die sich nie ausrotten lassen wird". Der virtuellen Kunst steht er dagegen noch abwartend gegenüber. "Du hast dich ja völlig dem Digitalen hingegeben", begrüßte er seine einstige Schülerin Nathalie Grenzhäuser, die mit zwei atmosphärisch sehr dichten Fotoarbeiten vom Omaha Beach in der Notmandie und dem sanft-ironischen Bild einer Bergbesteigung in Südtirol in die Ausstellungshalle kam.

"Ich habe jetzt wohl mindestens fünf hessische Minister für Wissenschaft und Kunst überlebt", sagt Nitsch: 197 kam er zum erstenmal als Gastdozent nach Frankfurt, um danach mehrmals wiederzukehren. 1987 wurde Kasper König Rektor der Städelschule. 1989 schlug der Rat der Städelschule den österreichischen Künstler zum ordentlichen Professor vor. Dies wurde vom damaligen Wissenschafts- und Kunstminister Wolfgang Gerhardt (FDP) abgelehnt. Der Medienaufstand über die Aktionskunst von Nitsch und sein Orgien-Mysterien-Theater war damals gewaltig und schien alle durch eigene Anschauung ganz ungetrübten Vorurteile zu bestätigen.

"Hermann Nitsch ist ein ganz toller Lehrer", sagt Paul Zita, einer seiner frühesten Schüler: 1971 habe er sich wie viele andere Studenten mit einer Unterschriftenliste dafür eingesetzt, daß der Künstler Gastdozent an der Städelschule werde. Eines Tages sei Nitsch darin mit zwei großen Koffern voller Bücher gekommen und habe die Städelschule nachhaltig "wachgeküßt .

16. Juli, 18 Uhr, Eröffnung der Ausstellung der jetzigen Klasse Hermann Nitsch, Städelschule, geöffnet bis 17. Juli, abends.

16. Juli, 19.30, Uhr Eröffnung der Ausstellung Absolventen 1971 - 2003 Klasse Nitsch, Ausstellungshalle, Schulstraße la

17. Juli, 20 Uhr, großes Fest, Städelschule

VON KONSTANZE CROWELL

(Frankfurter Allgemeine SonntagsZeitung vom 13.07.2003 )

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ohne worte

Hermann Nitsch beendet nach mehr als dreißig Jahren seine Lehrtätigkeit an der Städelschule in Frankfurt.

Die ordentliche Lehrtätigkeit in Frankfurt begann standesgemäß mit einem Skandal: Obwohl Hermann Nitsch bereits seit 1971 immer wieder als Gastprofessor an der Städelschule unterrichtete, zu einem ordentlichen Professor wollte ihn das Ministerium 1989 lieber doch nicht machen.

Wieder wurden alte und neue Geschichten präsentiert und vor allem jene Bilder evoziert, die man mit Nitsch sofort verbindet: Blutige Tierleiber über nackten Frauenkörpern, weiß gekleidete Menschen an Holzkreuzen, wilde Schreie, lärmende Rhythmen. Ausgeweidete Kälber, Wein in Strömen, Fackeln in leuchtender Nacht: Dionysischer Rausch und ekstatische Erschöpfung. Blut in allen Schlagzeilen. Was Bild für Bild gar nicht mal falsch ist, den Kern dennoch nicht traf.

Weltberühmt geworden ist Hermann Nitsch, der längst in den wichtigen Museen der Welt ausgestellt ist, mit seinem Orgien Mysterien Theater: Seit 1957 entwickelt er seine Vorstellungen von der Re-Mythisierung des Lebens durch einen neuen Kult für die sinnverstümmelten Menschen unserer Zeit.

Ein Fest, das orgiastisch, grenzüberschreitend und befremdlich wirkt. Ein Gesamtkunstwerk, bei dem es keine Zuschauer, sondern nur Teilnehmer gibt. Wo alle fünf Sinne, gerade auch die von Kant verpönten, niederen, zu ihrem Recht kommen: Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Fühlen: "Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen dem Sinnlichen und dem Geistigen", sagte er vor zweieinhalb Jahren aus Anlass einer Ausstellung in Frankfurt.

Zu Skandalen führte vor allem die praktische Suche nach solcherlei Ganzheitlichkeiten: Die Schlachtung und Ausweidung von Tieren, aber auch das Wühlen in und das Sich-Beschmieren mit Kot, Gedärmen und Blut, sowie die Nachahmung christlicher Riten. Ein "Ausloten" der Tiefen menschlicher Existenz, für Nitsch eine Art "Psychoanalyse ohne Worte", weit näher an Jung als an Freud.

Sein Misstrauen gegen das Wort stammt aus frühen künstlerischen Anfängen, als er "die Sprache verließ, um zur Wirklichkeit durchzustoßen". Über den Expressionismus, den er als eine Wurzel seiner Arbeit sieht, gelangte er zur Aktionsmalerei, bewunderte Jackson Pollock und Willem De Kooning. Und so ist es bis heute geblieben: "Meine Aktionsmalerei ist die visuelle Grammatik meines Theaters auf einer Bildfläche".

Dieses Theater, das Orgien Mysterien Theater begann mit Hermann Nitschs Aktionen im Jahr 1962; die erste große, 24-stündige Aktion fand dann 1975 auf Schloß Prinzendorf im österreichischen Weinviertel statt, wo Nitsch bis heute lebt. 1984 folgte ein dreitägiges, 1998 ein sechstägiges Spiel.

Immer waren auch Städel-Schüler beteiligte Akteure. Und so ließ sich die Schule 1989 denn auch nicht durch ministerielle Ablehnung und den Sturm der Entrüstung beeinflussen: Hermann Nitsch wurde zwar nicht offiziell Professor, dafür fehlte der Segen des Landes, aber die Schule gab ihm dennoch eine eigene Klasse und stellte ihn intern den anderen Professoren gleich - den Titel hat er ohnehin aus Österreich.

Als Lehrer zeigte Nitsch vor allem, dass er seine Kunst nicht als Dogma versteht, sondern dass er vor allem anregen will, eigene Wege zu gehen. So ist seit der ersten Gastprofessur vor 32 Jahren eine große Bandbreite an Schülern zwar auch stark geprägt, aber vor allem als sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten gefördert worden.

Ein Querschnitt durch deren Arbeiten ist nun in der AusstellungsHalle zu sehen (Besprechung folgt), die jetzigen Schüler präsentieren ihre Werke gleichzeitig in der Städelschule.

Und wenn Hermann Nitsch nun, zum Ende des Sommersemesters, seine Lehrtätigkeit in Frankfurt beendet, so geschieht das zwar mit einem Fest, aber wohl ohne Skandal - was tatsächlich standesgemäß ist: Denn langsam kann man das Werk des Künstlers, der eben weit mehr ist als ein "Caligula aus Österreich" (so die Tierschützerin Brigitte Bardot) ohne Aufregung betrachten und einordnen: Als kraftvolles Relikt einer Performance- und Theatergeschichte, die er mit geprägt hat, in der er aber einen Seitenweg beschritt und noch immer beschreitet - abseits der meisten aktuellen Diskursfelder.

Von Florian Malzacher

• Ausstellung der Absolventen 1971-2003 Klasse Hermann Nitsch in der Ausstellungshalle, Schulstraße 1a, bis 10. August (Mi, Do 18-21 Uhr, Fr - So, 14-18 Uhr). Abschiedsfest für Nitsch heute, 20 Uhr in der Städelschule, Dürerstraße 10

(Frankfurter Rundschau vom 17.07.2003 )

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Hermann Nitsch und seine Studenten

Was kommt dabei heraus, wenn man beim Orgien-Mysterien-Mann studiert? Breitspektrumkunst. Hermann Nitsch, langjähriger Professor an der Städelschule und nun mit einem deftigen Fest in den Ruhestand verabschiedet, ließ seinen Schülern von Anfang die Option zur Vielfalt. Die Ausstellungshalle 1 A flicht ihm darob einen Kranz, indem sie beispielhafte Werke vereint. Nitsch kuratierte die Absolventenausstellung, die drei Jahrzehnte überblickt, selbst.

Man reibt sich die Augen: So viele Namen, die inzwischen in Frankfurts Kunstszene und darüber hinaus geläufig sind, mit dem Theaterrevolutionär, Musiker und Maler verbinden zu können, überrascht denn doch. Nathalie Grenzhäuser und Veronika Schwegler, Daniel Milohnic und Dirk Fleischmann, Evangelia Pitsou, Ralf Schmitt und Florian Adolph - alles Nitschianer.

Die Malerei herrscht bei den Eleven vor, Stil und Thematik sucht sich jeder selbst: Menschen, Landschaften, Mischwesen. Karsten Kraft hat seinen Faun gleichsam mit dem Bade ausgeschüttet.

Das splitternackte Menschentier, gefangen im white cube des gefliesten Badezimmers, ist Sinnbild für die existenzielle Außenseiterposition des von Intellekt wie Instinkt verwirrten Homo sapiens. Dreimal hat er die zum dionysischen Gefolge gehörende Urgestalt Nitsch bereits untergejubelt: Zur Zwischenprüfung, zur Meisterprüfung und nunmehr Nitsch zu Ehren.

Womit der sich das verdient hat? "Ich habe die Studenten nicht vernichtet", sagt Nitsch, der am 29. August seinen 65. Geburtstag feiert, "sondern versucht, zu warten, was aus ihnen herauskommt."

bab

(Frankfurter Rundschau vom 04.08.2003 )

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Nah am Meister

Hermann Nitsch zeigt, zu seinem Abschied vom Städel, Arbeiten seiner Schüler in der AusstellungsHalle Schulstraße

Ein merkwürdiges Klassentreffen, bei dem die meisten so kommen, wie sie einmal waren und nicht so, wie sie inzwischen sind. Städel-Professor Hermann Nitsch (der offiziell nie einer sein durfte) präsentiert zum Ende seiner Lehrtätigkeit Arbeiten seiner Frankfurter Schüler aus rund 30 Jahren in der AusstellungsHalle Schulstraße. Sein Anliegen ist es, bei aller Toleranz, mit der er Abweichungen akzeptiert, Gemeinsamkeiten zu zeigen. Vielleicht die Klasse zur Schule zu adeln. Deshalb sind die ausgestellten Arbeiten größtenteils ältere - was spannend ist, wo man spätere Werke der Künstler kennt, und irreführend, wo nicht.

Obwohl Nitsch den Lehrstuhl für interdisziplinäre Kunst innehatte, dominiert in der Ausstellung die Malerei, die neben der Performance Nitschs zentrales Medium ist. Videos gibt es nur vereinzelt, Skulpturen fast gar nicht, Fotografien wenige.

Anfang der siebziger Jahre, als Nitsch zum ersten Mal in Frankfurt unterrichtete, machte vor allem die Studentengruppe meff mit situationistischen Aktionen auf sich aufmerksam. Davon verraten die Arbeiten von Paul Zita, Martina Kügler, Peter Scheich, Winfried Wolf und Prometheus nicht viel, fast wirken ihre Arbeiten ernst und schwer, wie Scheichs Gemälde von schemenhaften Körpern, die von den Elementen durchdrungen, umgeben werden. Da sie am Anfang der Ausstellung stehen, kommt man kaum umhin, sie als Schöpfungsmythos zu lesen, zumal eine großformatige Kreuzigungsszene von Karsten Kraft den Abschluss bildet.
Religiöse Motive kehren immer wieder, mal monumental, mal eher esoterisch wie bei Esther Merz. Auch das Kreuz taucht, beispielsweise bei Ah. P. Taro Miyabe, rußschwarz mehrfach auf. Vor allem aber ist, wie zu erwarten, Blut ein ganz besondrer Saft in Nitschs Welt. So dominiert die Farbe Rot in unterschiedlichsten Variationen, von denen die dezentesten Anke Röhrscheids pflanzenartige Gebilde und Corinna Mayers rote Frauenporträts sind.

Massiv und bedrohlich wirkt die Farbe bei Fatma Strößinger - und hier findet sich auch der kräftige, gestische Pinselstrich, der viele der gezeigten Arbeiten wesentlich ausmacht: Die Aktionsmalerei, Dreh- und Angelpunkt in Nitschs malerischem Werk, ist omnipräsent. Auch die frühen, dickpastosen Bilder von Mirek Macke oder die schwarzen Bewegungsgesten auf vergilbtem Papier von Inkritt Störkel sind in dieser Beziehung nah am Meister.

Aber nicht nur der wird zitiert, fast die gesamte Kunstgeschichte ist Material: Lionel Röhrscheids frühe Malerei mutet in ihrem dunklen Braun an wie von einem alten Meister - allerdings nahezu motivlos. Eva Köstners runde Zeichnungen mit ihrer unfertigen Anmutung könnten ein Präraffaeliten-Zitat sein, Marcus Grafs schwarze Siebdruck-Werbeplakate spielen mit Warhols Pop-Art. Dass man bei Nitsch einen Hauch von Sekte vermutet, liegt nahe. Und tatsächlich gibt es einige Porträts des Meisters, die diese Idee zumindest thematisieren. Evangelia Pitsou zeigt Nitsch mal großformatig als eine Art toter Lenin, mal fast ikonenhaft auf einer Holztafel. Doch wo die Gefahr des Pathos ist, wächst das Rettende auch: Veronika Schwegler ironisiert Nitsch als Heiligenbild.

Humor ist nicht die vorherrschende Eigenschaft von Nitschs Schülern - dennoch ist er gut vertreten und gibt den nötigen Kontrast: Rüdiger Steuers zeichnet comichaft eine Schriftrolle mit Szenen modernen Lebens in ägyptisierender Manier, Sandip Shah betet in einer Videoarbeit eine amerikanisch anmutende Flagge an. Und damit Nitsch nicht zu mächtig wird, hat Jürgen Wolfstädter fluxushaft in einen Wandkalender für jeden Dienstag die Mahnung eingetragen: Mutter anrufen.

 

Florian Malzacher

(Frankfurter Rundschau vom 07.08.2003 )

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nitsch mortale

AUFTRIEB FÜR DEN ALTMEISTER DER AKTIONISTEN

Während sich andere zurückziehen, die eigene Pensionskasse verjuxen, wenn sie als Professoren in den Ruhestand entlassen werden, gibt er noch einmal richtig Gas. Hermann Nitsch, der Nestor der Wiener Aktionisten, soeben 65 Jahre alt geworden, plant auf Teufel komm raus, so dass Freunde in Anlehnung an den Salto mortale bereits vom Nitsch mortale berichten.

Der dreifache Salto des Künstlers besteht, erstens, aus einer großen Ausstellung in der Sammlung Essl, Klosterneuburg, die Mitte Oktober eröffnet wird (bis 11.1.2004). Nitsch und Karlheinz Essl wollen etwa 18o Werke zeigen, meist aus Beständen des Sammlers. Zweitens: Nitsch bereitet, gemeinsam mit Otmar Rychlik, für die Frankfurter Buchmesse einen 4oo-SeitenBand vor, der das Sechs-Tage-Spiel ausführ,lich dokumentiert (Hatje Cantz Verlag, circa 58 Euro; Vorzugsausgabe mit ,Unikat: etwa 350 Euro). Und drittens: Nitsch, wie so oft in der Vergangenheit vom Sammler und,Förderer Peppe Morra unterstützt, arbeitet an den Plänen für ein Nitsch-Museum, das wohl Ende 2004 in Neapel eröffnet werden soll. Damit nicht genug: Hermann Nitsch-, der Unermüdliche, will nach seiner 24-Stunden-Aktion (1975), seinem Drei-Tage-Fest (1984) und dem Sechs-Tage-Spiel (1998), allesamt auf seinem Schloss in Prinzendorf inszeniert, im kommenden Jahr ein 48-Stunden-Orgien-Mysterien-Spiel aufführen. Der Termin ist schon festgelegt: 31. Juli und 1. August 2004.

Es wäre ein Wunder, wenn diese nächste Nitsch-Aktion störungsfrei verlaufen könnte. Wie früher auch, so darf erneut mit Eingriffen und Wider-' ständen der österreichischen Politiker, der benachbarten Kirche und internationaler Tierschützer gerechnet werden (unvergessen, dass 1998 aus Frankreich sogar Brigitte Bardot eingeflogen wurde, um aus gr erer Entfernung, von Wien aus, ein Wortgefecht mit Nitsch zu simulieren. Von seinem Werk hatte sie freilich nichts begriffen). In der Tat beruhen sämtliche Attacken der Nitsch-Gegner auf Missverständnissen, denn der Künstler, ein Tierfreünd, quält nicht; auch mit Blasphemie hat der tief religiöse Maler und Aktionist nichts im Sinn, und die Politik, die,ja, die rutscht ihm ohnehin den Buckel runter, wenn sie nicht gerade wieder einmal seine künstleri5che Arbeit behindert.

Tatsache ist, dass - der jahrzehntelang betriebenen Auseinandersetzung im Spanriungsfeld von Leben und Tod zum Trotz -immer noch zu wenige Menschen wissen, was Hermann Mitsch macht.

Allenfalls das Klischee des Blut-Künstlers haftet im Bewusstsein vieler. Doch sein zwischen christlicher Liturgie und griechischer Mythologie angelegtes Werk, letztlich ein Existenzfest, das sämtliche Sinne öffnen soll, hat den Kunstbegriff schon erweitert, als diese Diktion noch unverbraucht, nicht überstrapaziert war. Er hat gezeigt und gelehrt,-kürztlich erst wieder als Professor der Salzburger Sommerakademie, dass Kunst nicht am Keiltahmenrand endet, sondern dort einsetzt, wo aus dem Bedürfnis nach Abreaktion rauschhafte Intensität und hohe Sensibilität entwickelt werden, die letztlich zur Erkenntnis führen. Seinsmystik, wie Nitsch sagt.

Dieses Gesamtkunstwerk, das sich nicht in der Wiederholung erschöpft, sondern behutsam weitergetrieben wird, öffnet immer wieder neue Wege, die manchmal an die mit Nitsch absolvierte Begehung der Felder und an die Einkehr in Weinkeller denken lassen. Nicht von ungefähr kam es beispielsweise, dass sich der Gesamtkunstwerker im vergangenen Jahr radikal auf die Farbe Gelb einließ und seinen zweiten Auferstehungszyklus malte. "Die brunstschwangere Substanz der Farbe" (Nitsch) wurde in strahlend leuchtendes Korngelb verwandelt, "die Farbe des sommerlich reifen Getreides steigert sich zum blendenden Licht der Sonne, in das man nicht zu schauen vermag".

Museumsdirektoren in aller Weit, die längst ihren "blutigen Nitsch" gesammelt haben, gehen den innovatiiven Weg mit. Weggefährten im wahrsten Sinne des Wortes. Dazu gehören Kunsthistoriker in Amsterdam (Stedelijk Museum), Minneapolis (Walker Art Center), Paris (Centre Pompidou) oder in Wien (Museum Moderner Kunst), die in den letzten beiden Jahren weitere Arbeiten von Hermann Nitsch in ihre Sammlungen aufgenommen haben.

Alles in allem: Ein Künstler, der nach wie vor größte Beachtung verdient, weil er-,- wie nur wenige Kollegen seiner Generation - Handschrift und Denkschrift permanent entwickelt, sich nicht auf dem einmal gefundenen Farben- und Formen-Kanon ausruhen mag. Keiner, der immer wieder die gleichen Materialien einsetzt; keiner, der stets mit den gleichen Formationen arbeitet, wenngleich die Wiederholung, wohl dosiert eingesetzt, im Werkkontext durchaus ihre Berechtigung findet. Kein Zweifel. Hermann Nitsch - darauf wenigstens einen Saltarello, wenn schon keinen Salto mortale - gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart.

Karlheinz Schmid

(Kunstzeitung 09.2003 )

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Hermann Nitsch als Lehrer

"Kraft soll der Bedienung die Botschaft ausrichten, der Herr Nitsch tobt schon". Der Herr Nitsch kann, weiß Gott, ungehalten sein. Wenn etwa im Resaturant der Service lahmt, heißt er flugs Leute aus seinem Tross, ihm Beine zu machen. Karsten Kraft spurt.Er hat sechs Jahre beim Orgien-Mysterien-Mann studiert und genießt seine Zuneigung.Eine zum dionysischen Gefolge zählende Urgestalt malte er deshalb gleich dreimal: Seinen Faun im Bad kredenzte er Nitsch zur Zwischenprüfung, zur Meisterprüfung und jetzt "ihm zu Ehren".

Kann es ein ein schöneres für einen pensionierten Lehrer geben ?

Rund 1000 Studenten, schätzt Nitsch, fanden in all den Jahren sein Ohr. Lauter Individualisten. Tatsächlich leiß kaum, ein Kunstprofessor ein solch breites Spektrum künstlerischer Ausdrucksweisen zu und stimulierte Eigenständigkeit `a la Hermann Nitsch. Was ist das Geheimnis des einstigen Wiener Aktionisten, der inzwischen munter den Habitus eines rauschebärtigen Malerfürsten der Sezession pflegt. "Raimer Jochims, der ein guter Lehrer ist, hat Bildananlysen gemacht und die Bilder zerlegt" sagt Nitsch, "ich habe versucht, zu warten, was aus den Studenten herauskommt." Nie, schwört er, habe er "Schüler vernichtet" sich vielmehr bemüht, "sie in Gang zu bringen". Und zwar so diskret wie gezielt. "Da, habe er etwa gesagt, "wäre eine Stelle, an der man weiterarbeiten kann."

Zu seinem Abschied kuratierte er nun eine Ausstellung mit Studenten – Arbeiten in Robert Bocks Ausstellungshalle "1A", während seine aktuelle Klasse beim Abschiedsfest im Lichthof der Staedelschule Werkbeispiele präsentierte. Dort zeigte sich auch in ergreifenden Reden, wer sonst noch alles von Nitsch gelernt hat, der selbst autodidaktische zur Kunst kam: "Das waren die Zeiten des Aufbruchs, und die Akademien waren zu konservativ."

Von Nitschs "Liebe zur Kunst und zur ganzen Welt", von seiner "Fühl- und Wahrnehmungsfähigkeit" beeindruckt, erklärte sich etwa Raimer Jochims. Der ehemalige Schulleiter erinnerte daran, dass Nitsch das Theater revolutionierte, was Regisseure wie Neuenfels "kräftig bei ihm absahnen" ließ. Währen Thomas Bayrle bekannte: Ich habe so viel von Dir gelernt, Hermann", pries ihn Peter Kubelka als "einen der bedeutendsten Musiker, die heutzutage am Werk sind", und gestand: "Nitsch, Du bist in meiner Gemeinschaft der Heiligen". Worauf dem, gerührten Professor nur festzustellen blieb:" ich wollte immer nur Intensität verbreiten."

 

Dorothee Baer-Bogenschütz

(Kunstzeitung September 2003 )

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