Es ist nichts als Zufall. Doch es hat
schon seine Richtigkeit, wenn sich nun anlässlich der
Buchmesse gleich zwei Ausstellungen diesseits und
jenseits der Alten Brücke in Frankfurt dem Werk Xiao Hui
Wangs widmen. Denn die chinesische Künstlerin, die in
Schanghai und seit mehr als zwanzig Jahren auch in
München lebt, als Brückenbauerin zu bezeichnen ist
ausnahmsweise einmal keine Floskel. Weniger, weil sie
zunächst Architektur und Innenarchitektur studierte,
bevor sie mit einem Stipendium nach Deutschland kam.
Sondern weil das im engeren Sinne künstlerische Werk
Wangs, das vor allem Filme und Fotografie umfasst, aber
auch zahlreiche Bücher, die Welt des Ostens in der des
Westens zu spiegeln scheint. Und umgekehrt.
Dass ihre Kunst in China als eher westlich, im Westen als
eher östlich wahrgenommen wird, erscheint bei genauerer
Betrachtung der Schau in der Ausstellungshalle (Schulstraße
1A) und der Arbeiten in der Galerie Maurer (Fahrgasse 5)
als beiderseitiges Missverständnis. Zwar sind Wangs
Protagonisten, Schauplätze und Motive vordergründig
"chinesisch", gleich ob sie, wie in der seit
bald zehn Jahren entstehenden Serie "Red
Child", scheinbar wahllos chinesische Kinder
porträtiert oder, wie in "My last 100 years",
sich selbst in Frauenrollen der vergangenen hundert Jahre
inszeniert - als Konkubine der Jahrhundertwende,
Schulmädchen und Teepflückerin, als Marktfrau, Maoistin
oder Rotgardistin bis zum Yuppie-Girl der Gegenwart.
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Doch ihre Themen, so zeigt etwa der rund
zehn Minuten lange Film "Broken Moon" aus dem
Jahr 1994 in der Ausstellungshalle, sind ausnahmslos
universeller Natur: Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit
und immer wieder die Rolle der Frau. Ausgesprochen
"westlich" ist derweil allenfalls ihr
künstlerischer Ansatz. Wangs Arbeiten sind stets
konzeptuell gedacht. Das gilt für die "Erotic
Flowers" wie für die großen Formate von
"Isolated Paradise" gleichermaßen.
Mit eigens angefertigten Kleidern, mit wie für die
chinesische Oper geschminkten Schauspielern, Models und
Mitarbeitern ihres Studios bis ins Detail inszeniert und
mit elektronischem Pinsel am Computer überarbeitet,
zeigen Wangs Aufnahmen in einer Hausgemeinschaft
zusammenlebende Konkubinen in alltäglichen Situationen:
ein durch und durch malerisches Bild der Gesellschaft
Schanghais der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Vordergründig. Was sie dem heutigen Betrachter vor Augen
führen, reicht nicht nur chronologisch weit darüber
hinaus. Schönheit und ihr Verblassen, Verführung,
Einsamkeit und Melancholie spricht aus diesen Bildern.
Man glaubt jedes Wort.
CHRISTOPH SCHÜTTE
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rhein-Main-Zeitung,
16.10.2009, Nr. 240, S. 45
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