Seite an Seite: Afrika liegt an der Seine
Paris ist eine afrikanische Metropole:
Die Schau "Black Paris"
im Frankfurter Museum der Weltkulturen schlägt den Bogen von Geschichte zu Gegenwart - in der Kunst.

Von Eva-Maria Magel, Frankfurt

Eine schicke Blondine nimmt hinter dem schwarzen Fahrer auf dem Motorroller Platz, das Paar saust durch Paris, abends sitzt eine gemischte Runde von Schwarzen und Weißen diskutierend beim Abendessen im Quartier latin: "Afrique sur Seine", "Afrika an der Seine", heißt der Kurzfilm von Paulin Vieyra und Mamadou Sarre aus dem Jahr 1957. Auch "Afrique sur Seine" ist bei "Black Paris - Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora 1906 bis 2006" zu sehen, so der Titel der Schau im Frankfurter Museum der Weltkulturen und in der Ausstellungshalle Schulstraße1A. Konzipiert hat sie das Iwalewa-Haus, Forschungseinrichtung und Ausstellungshaus der Afrikanistik an der Universität Bayreuth.

"Black" waren die ersten schwarzen Künstler und Intellektuellen, die zu Beginndes 20.Jahrhunderts Paris als Entfaltungsort zu schätzen wussten - sie kamen vor allem aus den Vereinigten Staaten. "Black" oder französisch "blaque" nennen sich heute die jungen Schwarzen, nicht zuletzt jene, die Paris nicht als Ort der Entfaltung empfinden, sondern ihre Kindheit in den Gettos der Vorstädte verbracht haben, die im Herbst 2005 brannten. Ihre beengten Lebensverhältnisse thematisieren Arbeiten wie Barthélémy Toguos Installation eines mit Tüten bepackten Stockbetts, wie die meisten aktuellen Arbeiten in der Schulstraße 1A zu sehen. Von der Galerie 37 im Museum bis dorthin ist es ein weiter Bogen, den die Schau schlägt. Ihre Grundthese: Paris ist eine schwarze Metropole. Nicht nur, weil heute jeder fünfte der 12 Millionen Einwohner im Großraum Paris afrikanische Wurzeln hat. Vielmehr geht es um Paris als Kreuzung, Umschlagplatz, Ort der Begegnung und der Zusammenführung, des Verwerfens; ein Ort, bedeutend wie kaum ein anderer in der Kunst - und Geistesgeschichte des 20.Jahrhunderts.

Folgerichtig ist es die Kunst, aus der die Ausstellung ihr Anschauungsmaterial gewinnt. Am Anfang steht die Entdeckung Afrikas durch die europäische Moderne. 1906 hat sich Picasso zum ersten Mal mit afrikanischen Masken beschäftigt, die "art nègre" wird zum begehrten Sammlerobjekt, ausgestellt Seite an Seite mit Werken von Gauguin oder Matisse. Genau jenes Seite an Seite allerdings ist die spannendste Frage der Schau. In Paris wurde seit den vierziger Jahren in Zeitschriften und bei Symposien "Afrikanität", "négritude", definiert; eine aus vielerlei Nationalitäten zusammengesetzter Künstler - und Intellektuellengemeinschaft stellte schwarzes Selbstbewusstsein der europäischen Dominanz entgegen. Mit den Künstlern und Denkern dieser Zeit verkehrte auch Josephine Baker. An ihr zeigt die Schau, quasi als Hingucker, künstlerischen Erfolg, die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den äußeren Erwartungen. Baker, die 1925 als

Amerikanerin nach Paris kam und dort zunächst virtuos auf der Klaviatur des Exotismus spielte, wurde angeblich "französischer als die Franzosen

Es ist gerade Josephine Baker, die 2002 auf einem Gemälde von Hasan Musa auftaucht: Es zeigt den Schriftsteller und Ethnologen Michel Leiris, wie er sich über ihren legendären Bananenrock beugt, um "die Echtheit der Bananen zu überprüfen". Das satirische Sujet trifft eine Kernfrage, die auch bei der von Okwui Enwezor kuratierten documenta X oder bei internationalen Ausstellungen wie "Africa Remix", die 2004/2006 afrikanische zeitgenössische Künstler, unter ihnen Musa, präsentierte, diskutiert wurde. Was heißt "afrikanische Kunst"? Wer definiert sie? Und wie soll sie präsentiert werden? Der exzellente Katalog zu "Black Paris" hilft weiter, wo die Texttafeln in der Schau naturgemäß knapper ausfallen müssen: Schließlich ist Ausstellung und Katalog ein dreijähriges Forschungsprojekt vorangegangen. Die Ausstellung selbst hat sich bei diesen aktuellen Fragen, ganz "Black Paris", für ein Seite an Seite entschieden. In der Gegenwart, wenn Künstler wie die Österreicherin Friederike Klotz sich mit den Hellsehern und Marabuts in den Pariser Vorstädten befassen oder Michèle Magema in einer an Bruce Nauman erinnernden Videoarbeit "Rituel" ihren Alltag als Pariserin kongolesischer Herkunft befragt. In der Geschichte, als mit Picasso etwa der Afrokubaner Wifredo Lam (1902-1982) ausstellte. Der sich wiederum mit den Arbeiten des Dichters Aimé Césaire befasste, wie Léopold Sédar Senghor ein Vordenker der "négritude". "Black Paris", so zeigt sich, ist ein kunstvoll verschlungenes Netz, das die Entdeckung lohnt.

"Black Paris" ist im Museum der Weltkulturen (Schaumainkai 37) bis zum 4. November Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17Uhr,
Mittwoch bis 20 Uhr zu sehen (Internet: www.mdw-frankfurt.de).

Die Teilschau in der Ausstellungshalle Schulstraße 1A läuft bis 10. Juni, Mittwoch von 12 bis 22 Uhr, Donnerstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr
(Internet: www.kunstfueralle.de). Eine Reihe von Führungen, Vorträgen und Werk-Kursen im Interkulturellen Atelier des Museums begleitet die Schau. Am 15. Juni um 19 Uhr findet ein Künstlergespräch mit Barthélémy Toguo statt. Der Fernsehsender Arte zeigt am 25. April, am 23. Mai und am 19. September jeweils um19 Uhr begleitende Filme.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 01. 04. 2007
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Das Lächeln der Josephine Baker
Die Ausstellung «Black Paris» vermittelt ein vielschichtiges Bild interkultureller Beziehungen

Von
Angela Schader

Paris war und ist ein Knotenpunkt der schwarzen Diaspora - für Intellektuelle und Künstler wie auch für einfache Arbeitsmigranten. Die Schau «Black Paris» zeigt westliche Inszenierungen des «Afrikanischen» und ihre vielfältigen Gegenentwürfe.

«Ich begreife das Projekt ‹Black Paris›, in all seiner historischen Komplexität, als einen neuerlichen Beitrag zum Monument eines moralischen und ästhetischen Missverständnisses.» So harsch urteilt der 1951 im Sudan geborene Maler und Kunsthistoriker Hassan Musa über die von Tobias Wendl, Bettina von Lintig und Kerstin Pinther realisierte Schau zu «Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora», die derzeit im Frankfurter Museum der Weltkulturen zu sehen ist, bevor sie Ende 2007 nach Paris weiterzieht.
Was Musa ablehnt, ist insbesondere die Tatsache, dass Begriffe wie «schwarz» oder «Afrikaner» unterschiedlichste Kulturen in eine scheinbare Einheit binden. Freilich liegt in genau dieser Idee einer der Brennpunkte in der Geschichte des «schwarzen» Paris - nämlich die Bewegung der Négritude, die von hier ihren Ausgang nahm und die eine die innerafrikanischen Grenzen transzendierende und auch die Diaspora einbegreifende «afrikanische» Identität postulierte. Musas Reflexionen sind insgesamt bedenkenswert; doch wird sein Urteil der Ausstellung wirklich gerecht?

Assemblage von Denkanstößen

Das «Black» im Ausstellungstitel subsumiert Intellektuelle und Künstler afrikanischen Ursprungs, die sich in der französischen Metropole aufhielten, ebenso wie die in den beiden Weltkriegen aufgebotenen «tirailleurs sénégalais»; das aus den USA importierte Jazzfieber der zwanziger Jahre wie auch den Rap der revoltierenden Banlieue-Jugend. Neben die im Westen gängigen Zerr- und Wunschbilder von Afrika werden die oft bissigen Repliken afrikanischer Kulturschaffender gerückt, und man erfährt von den Hoffnungen und Enttäuschungen, die sich auf unterschiedlichsten Ebenen mit der «ville des lumières», dem Hort von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, verbanden.
Schon dieser Abriss zeigt, dass der Ausstellung alles andere als ein homogenisierendes, einebnendes Konzept zugrunde liegt; vielmehr präsentiert sie sich als Assemblage von Denkanstössen, die bei der unbedingt empfehlenswerten Lektüre des reichhaltigen Katalogs vertieft werden sollten. Da fügt sich beispielsweise Josephine Bakers epochemachender Auftritt im Bananenrock ins Panorama der seinerzeit beliebten «ethnografischen» Schauen mit nachgebauten «Negerdörfern» und wilden Tanzdarbietungen; und dieses Tableau bricht sich dann wieder in einem Gemälde Hassan Musas, der den Ethnologen Michel Leiris mit einem Blick unter das berüchtigte Röckchen die «Authentizität der Bananen» verifizieren lässt. Doch kann schon stutzig werden, wer nur gerade die in der Ausstellung versammelten Fotos von Josephine Baker betrachtet. Dieses hinreissende, etwas verschmitzte Lächeln, das in der Wiederholung plötzlich etwas Maskenhaftes annimmt - verbirgt es nicht auch das Wissen darum, welches ironische Spiel seine schöne Trägerin mit den Erwartungen und Vorurteilen ihres europäischen Publikums treibt?
Erwartungen gab es freilich auch auf der «anderen», der afrikanischen und afroamerikanischen Seite. Farbige Künstler und Literaturschaffende aus Amerika hofften in Frankreich eine Gesellschaft vorzufinden, welche die in den USA nach wie vor praktizierte Rassendiskriminierung weitgehend überwunden hatte. Während diese intellektuelle

 

afroamerikanische Diaspora nur im Katalog zur Sprache kommt und ihre literarischen Vertreter dort praktisch ausgeblendet bleiben, wird das in der frankophonen Literatur formulierte Verhältnis schwarzer Autoren zu Europa und zur afrikanischen Identität in mehreren Aufsätzen reflektiert.

Die Ausstellung macht die sich wandelnde Beziehung zu Frankreich auf andere Weise einsehbar. Der 1957 von Paulin Vieyra und Mamadou Sarr realisierte Film «Afrique sur Seine» hält den Fokus fest auf elegant gekleidete, urbane Afrikaner, die sich im Quartier Latin ungezwungen bewegen, Freund- und Partnerschaft mit Weissen pflegen und ihren weniger privilegierten Landsleuten, die sich mit Betteln oder Strassenkehren durchbringen, nur en passant begegnen. Wie ein Leitmotiv kehrt das Wort «espoir» im Film wieder - und erhält in einem der nächsten Ausstellungsräume seine vernichtende Antwort in den hämmernden Refrains einer Rap-Formation aus der Banlieue: Fünfzig Jahre später ist die Hoffnung zu Frustration und Wut verkümmert, der Stolz zur Drohgeste gegen eine als feindselig und diskriminierend empfundene Gesellschaft.


Vielschichtig

Damit sind freilich lediglich die Eckpunkte einer vielschichtigen Auseinandersetzung markiert, welche die Ausstellung vor allem mittels der bildenden Kunst sichtbar macht. Die Durchschlagskraft, mit der afrikanische Stammeskunst die europäische Malerei und Skulptur in den zwanziger Jahren beeinflusste, kann in der Ausstellung zwar nicht anhand ihrer wichtigsten Zeugnisse illustriert werden - ein Werk von Picasso auszuleihen, lag wohl ausserhalb des Budgetrahmens; doch mit dem vorhandenen Material wird intelligent gespielt, indem etwa eine Vitrine mit afrikanischen Masken und Skulpturen auf einer Seite von «afrikanisierenden» Arbeiten des polnischstämmigen Künstlers Jean Lambert-Rucki aus den zwanziger Jahren flankiert ist, auf der andern von einem Gemälde des Senegalesen Chéri Samba, das den unbekannten Schöpfern der in europäische Museen entführten afrikanischen Kunstwerke Ehre erweist.
Nicht zuletzt bietet «Black Paris» auch Gelegenheit zur Begegnung mit Künstlern, die weniger bekannt sind als Samba oder der ebenfalls vertretene, aus Kuba gebürtige Wilfredo Lam. Ransome Stanleys Malerei besticht durch subtiles Farbgefühl und ein virtuoses Spiel mit Ironie und Bildästhetik. Patrice Félix Tchicayas sechsteilige Fotoserie entfaltet aus ihren hochartifiziellen Arrangements ein Verstörungspotenzial, das mit der ursprünglichen Bestimmung der Aufnahmen - es soll sich um Modefotografien handeln - kaum zur Deckung zu bringen ist; und die deutsche Fotografin Karola Schlegelmilch vermittelt einen ganz eigenen Blick auf die französische Banlieue, indem sie das Objektiv auf deren sorg- und sparsam inszeniertes «natürliches» Umfeld fokussiert: gestutzte Büsche, in Beton gefasste Pflanzungen, Baumreihen wie transparente Vorhänge vor den mächtigen Häuserriegeln. Man bedauert, dass ein Teil der zeitgenössischen Arbeiten in Frankfurt in einer separaten und kürzer als die Hauptausstellung befristeten Schau gezeigt werden muss.

Die Hauptausstellung im Museum der Weltkulturen dauert bis zum 4. November, die Schau zeitgenössischer Werke in der Ausstellungshalle bis zum 10. Juni. Der Katalog «Black Paris», herausgegeben von Tobias Wendl, Bettina von Lintig und Kerstin Pinther, erschien beim Peter-Hammer-Verlag (430 S., Euro 29.-)

Neue Zürcher Zeitung vom 14. 4.  2007


"Black Paris"
Bauchtanz im Takt der Marseillaise

Von Sylvia Staude

Das Schokoladenmuseum im belgischen Brügge formuliert auf seiner deutschen Homepage recht unbefangen: "1914: Einführung in Frankreich von Banania, das Bananenmehl mit Schokoladengeschmack, welches die Frontsoldaten in den Gräben aufwärmt." Das süße Banania und den bitteren Krieg bringt auch das Frankfurter Museum der Weltkulturen zusammen, aber die Soldaten, die dort zu sehen sind, wärmt keine Schokoladenspeise mehr: Der neunminütige Animationsfilm L'ami y' a bon (2004) von Rachid Bouchareb erzählt, wie französische Truppen am 1. Dezember 1944 senegalesische Tirailleurs mit Panzern umstellten und niedermetzelten, weil sie den ihnen versprochen Sold auch tatsächlich verlangten.

In hart gestrichelten, expressiven Zeichnungen sieht man, wie die Senegalesen angeworben und gedrillt werden, wie sie dann im Schützengraben stehen und weiße Schneeflocken auf ihre schwarzen, trostlosen Gesichter fallen. Nicht weit davon entfernt hängt ein Banania-Werbeplakat an der Museumswand, auf dem eine Dose vier Bananen-Gliedmaßen und einen Kopf hat: Dieser ist rabenschwarz, hat eine breite Nase, wulstige Lippen, bleckt weiße Zähne.

Die Wahrnehmung des schwarzen Körpers im weißen Europa ist nur eines der Themen der Ausstellung "Black Paris - Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora", die das Bayreuther Iwalewa-Haus konzipierte und das Frankfurter Museum der Weltkulturen jetzt zeigt: in seiner Keller-"Galerie 37", in zwei Räumen im ersten Stock sowie der zu Fuß zu erreichenden "AusstellungsHalle" Robert Bocks in der Schulstraße 1A. In den Galerieräumen ist zunächst nachzuvollziehen, dass der dunkelhäutige Fremde nur in bestimmten Rollen - einigermaßen - akzeptiert war: als billiges Kanonenfutter im Dienst des "Vaterlandes", als Boxer, Musiker oder Tänzer - vielmehr: Tänzerin.


Frisiert mit "Bakerfix"

Und so kommt diese Ausstellung an Josephine Baker nicht vorbei, die einer der Gründe für die - in den zehner und zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die künstlerische Avantgarde erfassende - "Negrophilie" war. Ihre Revue war Kult, ihr Bananen-Röckchen Wahrzeichen wie auch ihr kunstvoll arrangiertes Haar, so dass es später genügte, mit dem Umriss ihres schmalen Kopfes und dem typischen Haarkringel auf der Wange zu werben, und jeder wusste, es geht um die Baker. So angesagt war ihr Stil, dass eine Firma Haarpomade namens "Bakerfix" verkaufte; die Ausstellungsmacher haben eine Schachtel mit Tübchen aufgetrieben.

Auch die jüngeren Künstler mit Migrationshintergrund, wie sie die Ausstellung versammelt, scheint die quecksilbrige Tänzerin nicht loszulassen. Hassan Masa hat sie 2001 in seine großformatige Allégorie à la Banane gemalt. Dazu eine bleiche, geisterhafte Gestalt.

1929 versetzte der Südafrikaner Ernest Mancoba Europa mit seiner barfüßigen "Bantu-Madonna" in helle Aufregung. Heute spielen zeitgenössische Künstler einfallsreich mit den Klischees, die ihre Herkunft ihnen - leider: immer noch - auferlegt. Patrice Félix Tchicaya inszeniert farbige Franzosen auf seinen Fotografien mit kreischbunten Perücken, Samuel Fosso lässt einen jungen Schwarzen lässig und charmant als Pirat mit Hakenhand posieren (Le pirate, 1997).

Die jüngeren und jungen Künstler, deren Arbeiten für die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen europäischen, karibischen, afrikanischen und afroamerikanischen Traditionen stehen sollen, sind hauptsächlich in der AusstellungsHalle untergekommen, wo sie deutlich mehr Platz haben als im beengten Museum der Weltkulturen. In der ehemaligen Fabrikhalle also bindet sich (dansons, Video, 2003) Zoulikha Bouabdellah ein blaues, ein weißes und ein rotes Tuch um die Hüften und bauchtanzt zur Marseillaise. Dort schrubbt Michèle Magema in einer ihrer Rituel-Videoarbeiten (2000) ihre dunkle Mundhöhle mit weißer Zahnpasta, dass es nur so schäumt.

Und dort kommt "Black Paris" im Heute an, nicht zuletzt bei der - auch architektonisch - elenden Situation in den Banlieues und bei ihren Bewohnern. Kader Attia macht das Hässliche - etwa Brandspuren auf einer Fassade - zur Normal City, indem er es in die Ferne zoomt (Video, 2004). Eine schwarz-weiße Videoinstallation Emeka Okerekes zeigt farbige Franzosen im Tunnel between History (2005/06): in engen U-Bahn- und S-Bahn-Gängen. Oder sie sind - in einer Fotoserie Okerekes - Security (2005/06), kräftige, oft bullige Aufpasser in Kaufhäusern, bei Popkonzerten, Bodyguards mit Knopf im Ohr, Körperarbeiter wie die schwarzen Boxer, die man zu Anfang des 20. Jahrhunderts bestaunte. Und Bartélémy Toguo schuf eine Collage des Frusts und Zorns, indem er Jugendliche bat, kurze Kommentare auf Postkarten zu schreiben. "Mein Platz ist hier", steht da trotzig, oder: "Wir wollen bloß ein bisschen Respekt"

FR online - Kultur & Medien vom 12..4.2007


Afrika liegt an der Seine
Die Ausstellung "Black Paris" im Frankfurter Museum der Weltkulturen

"Dansons" - "Lasst uns tanzen" - nennt die aus Algerien stammende und heute in Paris lebende Künstlerin Zoulikha Bouabdellah ihre Videoinstallation: Die Kamera ist starr auf den halbnackten Bauch der Performerin gerichtet, ein weißes Trikot verhüllt ihre Scham. Dann aber legt sie langsam und nacheinander drei mit metallischen Schellen behängte Bahnen seidenen Tülls in den Farben Frankreichs und der Republik - blau, weiß, rot - um ihre Lenden und Hüften. Alle Vorbereitungen für einen Bauchtanz getroffen, ertönt jedoch Marschmusik: die Marseillaise, wie von einer Militärkapelle intoniert. Der Bauch der Tänzerin bleibt für einen Moment reglos angespannt, als gehorchte er dem militärischen Kommando. Doch dann rührt er sich und folgt in immer stärker werdenden rhythmischen Schwingungen, unter Schellenklängen und über alle drei Strophen hinweg jener mitreißenden, aber martialischen Melodie.

Bouabdellahs Performance bringt die unter dem postkolonialen Dach der Grande Nation versammelten Spannungen durch die Aufspaltung kultureller Rollen buchst äblich zum Tanzen und fängt sie ironisch auf. Von einer anderen Version der Trikolore wird der Besucher der Ausstellung "Black Paris - Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora" gleich am Anfang seines Parcours empfangen: Der gebürtige Lateinamerikaner Jota Castro hat die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - unabhängig von Herkunft, Stand und Hautfarbe -verheißende Fahne mit einem dreisprachigen Willkommensgruß für Immigranten bedruckt, und zwar in den vor allem unter illegalen Einwanderern verbreiteten Sprachen Chinesisch, Urdu und Arabisch: "Bienvenue étrangers". "Willkommen Ausländer", hat Castro seine Arbeit betitelt, und der Text auf der Fahne ist eine Aufforderung zur kreativen Inbesitznahme des Landes und seiner Orte, "an denen ihr die Kunst eurer Zukunft finden könnt".


Doch zunächst ist in dieser Ausstellung, die eine Fülle kultur- wie kunstgeschichtlicher Dokumente und Objekte in überzeugende Beziehung zu Positionen der zeitgenössischen Künste setzt, viel von der Vergangenheit im Austausch der Kontinente zu sehen. In dessen Verlauf wurde Paris zur Drehscheibe und zum lange Zeit unbestrittenen Zentrum bedeutender kultureller, intellektueller und künstlerischer Ausstrahlungen. Unentbehrlich für diese Entwicklung waren Immigranten aus aller Welt, die unbekannte Kulturtechniken und Ausdrucksformen mitbrachten. Im Jahr 1905 machte das Schimpfwort von den "Fauves", den "Wilden", für die Künstlergruppe um Henri Matisse die Runde; im Jahr darauf bekam bei einer Geburtsstunde des Kubismus Pablo Picasso im Pariser Trocadéro erstmals afrikanische Masken und Skulpturen zu sehen. Seither wurde die moderne Kunst mitsamt ihrem kulturellen Umfeld - dem afroamerikanischen Jazz, den exotischen Tanzrevuen - als gleichbedeutend mit "Negerkunst" apostrophiert, entweder als Bekenntnis zum "Primitivismus" in der Kunst oder als dessen Abwehr.

Blick unters Bananenkleidchen

Mit Hauptwerken dieser Ära kann die Ausstellung nicht aufwarten, doch auch in der Konfrontation der Bilderarsenale der Welt- und Kolonialausstellungen sowie der zeitgenössischen Tanz- und Varietékultur - viel Raum haben die Bilderfluten um die "schwarze Venus" Josephine Baker - mit Objekten afrikanischer Kunst aus der eigenen Sammlung werden die kreativen Umrisse eines "Paris noir" deutlich, das wir so lieben. Denn so müsste die Ausstellung eigentlich heißen, würde sie strikt kulturgeschichtlich verfahren. Dass sie "Black Paris" heißt, ist als Zugeständnis an die Gegenwart zu verstehen, in der jeder fünfte Einwohner des Großraums Paris zwar afrikanische, afrokaribische oder afroamerikanische Wurzeln hat, über Paris aber der hegemoniale Schatten von New York liegt.


Eine Wiederentdeckung ist das Werk des Kubaners Wifredo Lam (1902-1982), der in Paris die Nähe zu Picasso, zu den Surrealisten sowie zu den literarischen Vertretern der Bewegung jener Négritude fand - Aimé Césaire und Léopold Sédar Senghor -, die aufgrund des Zerschellens ihrer auf Europa gesetzten Hoffnungen die eurozentrische Kultur als Maßstab ablegten. Viel Anschauungsmaterial präsentiert die Ausstellung über die avantgardistischen Allianzen von Kunst, Literatur und Ethnologie - auch in der Form eines spöttischen Rückblicks: Mit einer über mehr als drei Meter von einer Wand herabhängenden bemalten Textile erinnert der aus dem Sudan stammende Maler Hassan Musa an die Afrikaexpedition des Pariser Ethnographen Michel Leiris: "Mission Paris-Afrika oder Michel Leiris untersucht die Authentizität der Bananen" heißt diese imposante Darstellung des lüstern dreinblickenden Ethnologen in kurzen Khaki-Hosen, der Josephine Baker beim ekstatischen Nackttanz unter ihr berühmtes Bananenkleidchen schaut.

Echos auf die Unruhen in den Pariser Vorstädten hat der aus Kamerun stammende Künstler Barthélémy Toguo gesammelt: In der Banlieue ließ er im November 2005 an ihn adressierte und frankierte Postkarten verteilen. Den weißen Grund hatte er mit blauem Fuß- und roten Händeabdrücken gestempelt, die Antworten zu einem großen Tableaux collagiert: "Lasst uns den Reichtum unserer Differenz pflegen, und das Unkraut der Indifferenz verschwinden lassen!" Das schrieb Nadia aus dem Quartier Saint-Denis.VOLKER BREIDECKER

"Black Paris", Museum für Weltkulturen Frankfurt, bis 4. November.
Info: 069/21235913.
Danach: AusstellungsHalle Frankfurt, Schulstr. 1, bis 10. Juni,
Info: 069/96200188.
Katalog (Peter Hammer Verlag) 29 Euro.


SZ vom 26.3.2007


Kunst und Geschichte: Das schwarze Paris in Frankfurt

Afrika liegt in Paris: Fast jeder fünfte der 12 Millionen Bewohner im Großraum hat afrikanische, karibische oder afroamerikanische Wurzeln. Was es auf sich hat mit der „Geschichte und Kultur einer schwarzen  Diaspora 1906 – 2006“, das untersucht jetzt „Black Paris“, eine Ausstellung im Frankfurter Museum der Weltkulturen. „Black“, weil das englische Wort seit geraumer Zeit die Identität schwarzer Pariser bezeichnet. Vielleicht, weil es viele Afroamerikaner waren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der europäischen Metropole eine auch künstlerische Freiheit suchten, die sie in den Vereinigten Staaten nicht leben durften. 1906 entdeckte Picasso jene afrikanische Maske, mit der eine Epoche der „Negrophilie“ einsetzte. In den zwanziger Jahren machte die Amerikanerin Josephine Baker Furore, die später „J’ai deux amours, mon pays et Paris“ sang und als Französin für die Résistance arbeitete. In Shows, im Boxring und mit den schwarzen Soldaten im Ersten Weltkrieg begann der Eintritt des schwarzen Körpers in die Pariser Gesellschaft der Moderne.

Schwarze Künstler und Intellektuelle entdeckten ihrerseits Paris als Ort der Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft. Diesen Polen und vielen Netzwerken und künstlerischen Befruchtungen ist die Schau auf der Spur bis zum heutigen Bewusstsein der „blacks“ zwischen Ausgrenzung und der Vermischung der Kulturen. Als die Franzosen 1998 Fußballweltmeister wurden, war die Trikolore nicht mehr „blau-weiß-.rot“,

sondern „black, blanc, beur“, schwarz, weiß und arabisch, wie die multikulturelle Mannschaft. Sieben Jahre später brannten die tristen Vorstädte von Paris, in denen vor allem die „blacks“ und die „beurs“ ein Leben am Rande führen. Der aus Kamerun stammende Künstler Barthélémy Toguo hat damals Bewohner dieser Viertel gebeten, ihre Meinung auf eine an ihn adressierte Postkarte zu schreiben (unsere Abbildung). Diese und andere aktuelle Kunst ist vor allem in der Ausstellung Schulstraße 1 a zu sehen, die mit dem Museum kooperiert. „Black Paris“ ist eine Übernahme aus dem Iwalewa-Haus, Forschungsstelle und Museum für afrikanische Kultur der Universität Bayreuth, der ein dreijähriges Forschungsprojekt voranging. Das schlägt sich auch in einem umfangreichen Begleitprogramm und dem ausgezeichneten Katalog nieder. Nicht nur räumlich sprengt diese Schau also den Rahmen des Üblichen.

Bis 4. November im Museum der Weltkulturen;
bis 10 Juni in der Ausstellungshalle.
Informationen im Internet unter
http://www.mdw-frankfurt.de/ und http://www.ausstellungshalle.info/
Der Katalog kostet 29 Euro.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2007


Sehnsucht in der "Kontaktzone"
Ausstellung

Von Felix Helbig
Man tanzt, frau sinniert
Man tanzt, frau sinniert

Ein wenig entsetzt ihn die Situation schon, den Ausstellungsmacher aus dem beschaulichen Bayreuth. Da hat sich Tobias Wendl an diesem Donnerstagmittag erfolgreich an der Baustellen-Serie am Sachsenhäuser Mainufer vorbeigemüht, hat im Museum mit den drei Häusern sogleich den richtigen Bau ausgemacht und darin auch seine Kooperationspartnerin Anette Rein sofort entdeckt. Aber die Situation im Haus! Natürlich sei es eine "glückliche Fügung", dass die Frankfurter bei "Black Paris" mit aufgesprungen sein, sagt Wendl. "Aber gerade jetzt zeigt sich wieder, dass dieses Museum dringend erweitert gehört."

In einem Anflug von Fatalismus hebt die Direktorin des Museums der Weltkulturen da nur kurz die Augenbraue und bittet darum, alle weiteren Fragen zum Thema an das Kulturdezernat zu richten. Und die Baustelle draußen vor der Tür sei ja so verkehrt nicht, sagt Anette Rein. Den Leiter des Bayreuther Iwalewa-Hauses aber lässt die Bedrückung nicht los, zumal die Führung durch "Black Paris" ausgerechnet im Keller beginnt, wo die Platzverhältnisse des Museums ihre Untergrenze erreichen. Während Kuratorin Kerstin Pinther die Exponate erklärt, flüchtet sich Wendl in Nebenzimmer und hält sich im nicht gar so beengten Hintergrund.

Drei Jahre lange haben Wendl und Pinther für die neue Ausstellung über Kunst und Geschichte der schwarzen Diaspora in Paris recherchiert, ein regelrechtes Forschungsprogramm absolviert für dieses umfangreiche Thema (dessen Aufwand größere Räume ganz klar rechtfertigen würde, das sei nur für das Dezernat an dieser Stelle nochmals erwähnt). Die Exponate füllen nun alle acht Kellerräume des Museums am Schaumainkai, größere Stücke haben ihren Platz im Erdgeschoss gefunden und die ganz Großen sind gar durch Sachsenhausen in die Ausstellungshalle in der Schulstraße gewandert. Die Besucher sollten diese Wanderung im Idealfall nachvollziehen, dann bleibt von der Beengtheit im Keller am Ende gar nichts mehr übrig.

Die Ausstellung beginnt mit einer Einführung in das schwarze Paris und stellt dem Thema gleich im zweiten Raum mit Josephine Baker seinen Superstar voran. Der als "schwarze Venus" zum exotischen Mythos im Bananenrock stilisierte Revue-Star im Paris der 20er und 30er Jahre steht in der Ausstellung stellvertretend für die Mischung aus Parodie, Erotik und Exotik, die den Anfang der schwarzen Geschichte in Europa markiert. Im dritten Kellerraum sind das schwarze Boxer als Teil des Figureninventars Pariser Populärkultur, wie Pinther erklärt. Da wird in Darstellungen von Weltausstellungen und Völkerschauen die der

europäischen Nationen Überlegenheit gefeiert, in deren Negrophilie die "Wilden" nicht mehr sind als kuriose Belustigung wie die als "Hottentotten-Venus" bekannt gewordene Saartjie Baartman. Das Thema wandelt sich erst mit der Aneignung schwarzer Kunst durch die Pariser Avantgarde, mit der sich die Frage nach Entschädigung verbindet.

In den letzten beiden Kellerräumen wird Paris schließlich zur "Kontaktzone", einem intellektuellen Kommen und Gehen, in dem afrikanische und europäische Künstler einander inspirieren. Das Paris der Moderne ist nicht zuletzt ein Drehscheibe afrikanischer Weltmusik, wie die übergroßen Plattencover-darstellungen im Hochparterre des Museums zeigen. Dort mischen sich die zeitgenössischen Darstellungen in die Ausstellung, sei es nun der multikulturelle Alltag der französischen Hauptstadt oder die sehnsüchtige Kaffeehausszene.

Der Ausstellung gelingt es so spielend, die Verbindung von Kunst und Migration aufzuzeigen. Die Entstehung der Schau selbst, weist dabei eine interessante Parallele zum Thema auf: Erstmals zeichnet eine in Bayreuth und Frankfurt entworfene Ausstellung ein so politisches Thema im Nachbarland nach - und wird zum Abschluss in Paris gezeigt, im Gebäude des Kulturministeriums. Ein "blinder Fleck" sei dieses Thema bislang gewesen, sagt Wendl.

Von der Bedrückung im Keller hat sich der Bayreuther da längst erholt. Mit der ihr eigenen Ironie ist Anette Rein im siebten Kellerraum kurzerhand in die Offensive gegangen. "Tja, der Erweiterungsbau", hat sie Wendl da grinsend zugeraunt, "der ist leider noch nicht rechtzeitig fertig geworden.


Im Museum der Weltkulturen am Schaumainkai 37 (Galerie 37) wird ab Samstag die Ausstellung "Black Paris" gezeigt. Mit mehr als 200 Exponaten zeigt sie die Symbiose von Kunst und Migration der schwarzen Diaspora in Darstellungen der Bildenden Kunst, Fotografie,
Malerei und ethnografischen Objekten.

Die Ausstellung in Kooperation mit dem Iwalewa-Haus (Afrikazentrum der Universität Bayreuth) ist von Dienstag bis Sonntag von zehn bis 17 Uhr, mittwochs auch bis 20 Uhr zu sehen. Sie läuft bis zum 4. November. Der Eintritt kostet vier Euro.

In der Ausstellungshalle in der Schulstraße 1a werden die größeren Objekte der Schau gezeigt. Sie ist Donnerstag bis Sonntag von zwölf bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs bis 22 Uhr. Die Schau läuft hier bis zum 10. Juni. Der Eintritt ist frei.

http://www.mdw-frankfurt.de/
http://www.kunstfueralle.de

FR online von 17.03.1007


Museum der Weltkulturen zeigt Ausstellung «Black Paris»
Museum der Weltkulturen
Bis zum 4. November 2007 findet die Ausstellung statt.

Frankfurt (dpa) Das Leben und Wirken der afrikanischen Diaspora in Paris und ihren Einfluss auf die Kunst zeigt von diesem Freitag an die Ausstellung «Black Paris» im Frankfurter Museum der Weltkulturen. «Mit der Ausstellung wird eine Lücke in der Forschung geschlossen», sagte die Museums-Direktorin Anette Rein am Donnerstag. Bisher sei die Bedeutung der Schwarzen auf die Kunststadt Paris nicht gewürdigt worden. Fast acht Monate bis zum 4. November ist die vom Bayreuther Iwalewa-Haus konzipierte Schau mit insgesamt rund 300 Exponaten in

Frankfurt zu sehen. Ein Teil der Objekte wurde in die Ausstellungshalle an der Schulstraße 1a ausgegliedert.

Neben Gemälden und Fotografien umfasst die Ausstellung auch Videos, Installationen, Plastiken und textile Kunst. «Es wird ein Bogen vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart gespannt», sagte Kuratorin Kerstin Pinther. Themen sind die Faszination für den schwarzen Körper zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die schwarze Musik in den siebziger Jahren, die Popularität schwarzer Boxer, die Situation afroamerikanischer Soldaten in Frankreich oder auch die Situation in den Pariser Vorstädten. Ein Extraraum ist Josephine Baker gewidmet. Die im Alter von 19 Jahren aus Amerika ausgewanderte Tänzerin feierte in den zwanziger Jahren in Paris große Erfolge.

Nach Angaben der Ausstellungsmacher ist die französische Hauptstadt die größte afrikanische Enklave in Europa. Nahezu jeder Fünfte der zwölf Millionen im Großraum Paris lebenden Menschen habe afrikanische Wurzeln. «Paris ist die größte schwarze Stadt außerhalb Afrikas», sagte Tobias Wendl, Leiter des Iwalewa-Hauses in Bayreuth. Gegen Ende des Jahres wird die Ausstellung auch in Paris zu sehen sein.

Frankfurter Neue Presse Online 15.03.2007


Black Paris
Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora 1906 – 2006

J. Baker
Anonym: Josephine Baker, Titel des Programms Casino de Paris, 1930; Sammlung Jutta Niemann, Maisons Lafitte, Paris

Mit der Wahl des Themas für die neue Ausstellung "Black Paris" hat das Museum der Weltkulturen und seine Mitarbeiter wieder einmal ein extrem gutes Händchen bewiesen, um eine interessante Thematik umfangreich, differenziert und vor allem sehenswert zu vermitteln. Die Besuchern der Ausstellung werden in das "Schwarze Paris" entführt und bekommen in verschiedenen Räumen gezeigt, welchen Einfluss Migration auf Kunst und Kultur einer Weltstadt wie Paris haben kann. Schließlich hat sich die Stadt zu der größten afrikanischen Enklave Europas entwickelt und somit eine zentrale Stellung innerhalb der afrikanischen Kunst-, Mode- und Musikszene einnimmt. Anhand von 233 Objekten 17 internationaler Künstler wird in der Ausstellung die Geschichte und Bedeutung schwarzer Kultur in der französischen Diaspora zwischen 1906 und 2006 nachgezeichnet, wobei besonders kraftvoll Gegensätze wie die Negrophilie der Pariser Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts auf der einen Seite und die Probleme der Immigranten heute auf der anderen Seite auf den Betrachter wirken.

Ob Fotografien, Videobeiträge, Exponate oder Arbeiten zeitgenössischer und moderner Künstlerinnen und Künstler, die Ausstellung dringt tief in die Materie ein und bezieht ihre Faszination insbesondere aus den Gegensätzlichkeiten. Immer wieder werden dunkle Kapitel wie die koloniale Ausbeutung für die gesamte europäische Kulturgeschichte wichtige Aspekte, etwa die Verbreitung des Jazz, entgegen gesetzt.


Dadurch erhält die Ausstellung eine ähnliche Vielseitigkeit wie die schwarze Diaspora selbst und der Besucher kann sich ein sehr lehrreiches Bild von der Thematik machen, ohne ständig den moralischen Zeigefinger vorgehalten zu bekommen. Zu den Künstlern, deren Arbeiten in "Black Paris" zu sehen sind, gehört neben Kader Attia, Iba Ndiaye oder Emeka Udemba auch der südafrikanische Fotograf Darryl Evans, der im afrikanischsten Teil von Paris lebt und dessen Arbeiten zu den wichtigsten Chroniken des schwarzen paris der letzten jahrzehnte gehören. Natürlich bekommt aber auch Josephine Baker einen eigenen Raum in der Ausstellung gewidmet und der afrikanische Einfluss auf die Pariser Musikszene wird ebenfalls sehr umfangreich beleuchtet. So ist "Black Paris" eine sehr spannende und sehenswerte Ausstellung geworden, die ein Bild von paris zeigt, dass den meisten Besuchern in diesem Umfang und mit all seinen Zusammenhängen mit Sicherheit neu sein dürfte.

Zusätzlich zu der Ausstellung wird auch ein sehr umfangreiches und interessantes Begleitprogramm mit speziellen Führungen, Filmen und Vorträgen angeboten. Das in der Ausstellung Gesehene kann zudem durch einen parallel erschienenen Katalog vertieft werden. Alle weiteren Informationen erhalten Sie HIER

16.03. – 04.11.2007
Museum der Weltkulturen – Galerie 37
Di, Do-So 10.00 – 17.00, Mi 10.00 – 20.00, Mo geschlossen

Darryl Evans

Un après-midi au café chez Ali, Darryl Evans, 1980er Jahre,
s/w-Fotografie, 50x65 cm

http://www.mdw-frankfurt.de/ausstellungen/galerieausstellung.php

Frankfurt-Tipp, vom 19.03.07


Kunst im Bananen-Röckchen
Die Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße und das Museum der Weltkulturen
widmen sich bis 10. Juni bzw. 4. November der schwarzen Kultur in Paris.

Von Christian Huther

Auf allen vieren kam sie auf die Bühne, begann wild zu tanzen, wackelte mit den Hüften und sprang auf einen Baum. Wenig später hatte sie so gut wie nichts mehr an. Das war der erste Auftritt von Josephine Baker in Paris 1925. Die "Revue nègre" wurde eine Sensation, und die junge dunkelhäutige Amerikanerin ein Star. Ganz Paris lag ihr zu Füßen. Bald tourte sie durch die Welt. Ihr Markenzeichen fand sie ein Jahr später. Nur mit einem Minirock bekleidet, an dem 16 Bananen aus Pappmaché baumelten, gab sie sich ein Jahr später dem Tanz hin. Fortan hieß Josephine Baker die "schwarze Venus". Und die Begeisterung für die Schwarzen - besonders ihre Körper - kannte keine Grenzen mehr.

Diese Erfolgsgeschichte spielte in Paris. Denn Frankreich war dank seiner Kolonialpolitik ein beliebtes Asylland. Und es gab sich liberal. Heute zählt der Großraum Paris zwölf Millionen Menschen, jeder fünfte Bewohner hat afrikanische, karibische oder afroamerikanische Wurzeln. Damit ist Paris ein Zentrum der afrikanischen Kunst, Literatur, Mode und Musik. In den Vorstadt-Ghettos aber brodelt es bekanntermaßen auch im schlechten Sinne rasch.

Doch die schwarze Kultur gehört zu Paris, auch wenn man im Alltag zwischen Ausgrenzung und Vermischung laviert. Den wechselseitigen Befruchtungen widmet sich das Frankfurter Museum der Weltkulturen, unterstützt vom Iwalewa-Afrikazentrum der Universität Bayreuth.
Das Ergebnis ist eine kluge Mischung aus Zeitdokumenten und Gegenwartskunst. Allerdings könnte der historische Teil ausführlicher sein.
Die Schau, die später in Paris zu sehen sein wird, beginnt in den 20er Jahren mit Josephine Baker, deren Leben bis zum letzten Auftritt kurz vor dem Tod 1975 mit Fotos dokumentiert wird. Im

Bananen-Röckchen oder brav mit Pepita-Hütchen, als Widerstandskämpferin während der deutschen Besatzung oder mit ihren Adoptivkindern 1958 - immer machte sie eine gute Figur. Aber parodierte sie in ihren ersten Tänzen nicht die Vorstellung der Europäer von den wilden Schwarzen? Zumindest bediente Baker die Voyeure. Und die gab es schon früher. Auf Plakaten der Jahrhundertwende treten furchterregende schwarze Amazonen gegen die bis an die Zähne bewaffneten Weißen an.

Damals war man gleichermaßen fasziniert wie verängstigt von der schwarzen Kultur. Auch Pablo Picasso erging es nicht anders, als er 1906 erstmals traditionelle afrikanische Kunst sah - mit den bekannten Folgen. Doch diese Begegnung zweier Kulturen wird in Frankfurt erst ab den 30er Jahren dokumentiert, etwa mit Man Rays Foto einer barbusigen weißen Frau vor einer afrikanischen Skulptur. Dafür widmet sich die Schau den schwarzen Soldaten in französischen Uniformen während des Ersten Weltkrieges. Bis heute sind die Nachkommen dieser 180 000 Söldner nicht entschädigt. Aber diese Soldaten brachten auch den Jazz und Tänze wie den Charleston nach Paris.

Fast die Hälfte der rund 30 Gegenwarts-Kunstwerke von über 200 Objekten wurden für die Frankfurter Schau ausgelagert in Robert Bocks Ausstellungshalle Schulstraße. Aber nach sieben Minuten Fußweg wird man belohnt mit sehenswerter Kunst zum Thema Identität und Ausgrenzung.

Frankfurt: Ausstellungshalle Schulstraße 1a,
Bis 10. Juni, Mi 12-22 Uhr, Do bis So 12-18 Uhr. Eintritt frei
Museum der Weltkulturen, Telefon (069) 212-451 15.
Bis 4. November, Di bis So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Eintritt 4 Euro

Frankfurter Neue Presse vom 29.05.2007