Von der Utopie und der Unmöglichkeit
ihrer Verwirklichung: Oliver Tüchsen und Jens Lehmann
stellen in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße
1A aus.
Ob es am Ort liegt? An dieser ehemaligen Waschhalle, die
wie geschaffen scheint für diese Bilder? Oder an der
offenbar äußerst fruchtbaren Kooperation mit dem
Kollegen Tüchsen bei diesem "Aufbruch zur
geordneten Willkür", wie die beiden Städelschulabsolventen
ihre aktuelle Schau in der Frankfurter Ausstellungshalle
Schulstraße 1A überschrieben haben? Keine Ahnung. Denn
im Grunde ist Jens Lehmann sich und seinem Thema auch in
seinen aktuellen Bildern treu geblieben. Wie eh und je
sind es vornehmlich Interieurs und Stadtlandschaften, die
den leicht verkommenen Charme von Siebziger- und
Achtziger-Jahre-Architektur ausstellen und mithin das
Scheitern, nun, nicht gerade einer Utopie, aber doch
eines Konzepts, einer Idee wenigstens von Urbanität.
"Die Welt aufräumen", hat der einstige
Meisterschüler von Per Kirkeby sein künstlerisches
Vorgehen einmal genannt, den Versuch also, mit den
Mitteln der Malerei das Chaos zu ordnen im Bild. Und
manche seiner Arbeiten, mochte man bisweilen denken,
sehen haargenau so aus: recht brav. Und, nun ja,
ordentlich. Freilich, wie prekär diese Ordnung bei
genauerer Betrachtung immer schon war, wie ambivalent die
Geschichten von wohleingerichteter Idylle und ihrem
Zerfall, von Heimeligkeit und Unbehaustheit, An- und
Abwesenheit, all das lässt sich angesichts dieses
"Aufbruchs" beim besten Willen nicht mehr übersehen.
Weniger, weil er in seinen mitunter gewaltigen Formaten
Fotografie und Malerei und Collage zusammenführt zu
einem Bild des Bahnhofsviertels oder einer zugigen
"Künstlerbude", die aber auch so gar nichts
hat von einem tröstlich pittoresken Spitzwegcharme.
Vergleichbar geht der Frankfurter Künstler schließlich
schon seit Jahren vor. Und doch ist alles anders. Finden
Versprechen und Scheitern nicht nur kühl und sauber in
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einem Bild zusammen, sondern in einer
Haltung, die sich in einer schmutzigeren, ja rotzigeren
Malweise niederschlägt, die der traurigen Realität
urbaner Landschaft durchaus adäquat erscheint. Und
seinem Werk zugleich eine Frische und Dynamik verleiht,
die wie eine Befreiung wirkt.
Auch Oliver Tüchsen beschäftigt sich, pointierter noch
als Lehmanns Malerei, mit den gescheiterten und
stillschweigend aufgegebenen Versprechen der Moderne. Nur
dass die Zeichnungen, die über riesige Papierbögen zu
labyrinthischen Strukturen sich auswachsenden Raster,
Lineaturen und Module des 1971 im portugiesischen Porto
geborenen Künstlers zwar den Geist der konstruktiven
Utopie mit ihren eigenen Mitteln unablässig dementieren
und endlich ad absurdum führen. Doch Tüchsen, scheint
es, träumt ihn noch, den Traum der Avantgarden, offenen
Auges und im Wissen um ihr Scheitern. In der
Ausstellungshalle überrascht er nun neben seinen
raumgreifenden Zeichnungen mit einer Reihe mannshoher
Figuren, die ein wenig an die Spielzeugroboter des
Apollo-Zeitalters erinnern und manchen Kunstbeflissenen
womöglich gar an Thomas Schüttes ein wenig aus der Form
geratene "Große Geister". Nur dass sie bei Tüchsen
gleichsam alle Grüne Punkte tragen. Plastikflaschen,
Schaumstoff und Styropor, Abfallholz, Strohhalme und
Kaninchendraht sind ihm sein Material für die geradezu
nostalgisch anmutenden futuristischen Gestalten: Die
Zukunft unserer Kindheit, recycelt und aus zweiter Hand.
Dass Jens Lehmann ihnen wiederum eine Art Bushaltestelle
in die Halle gebaut hat, deren Architektur beider
gemeinsames Thema noch einmal lakonisch zu verdichten
scheint, ist eine hübsche Pointe am Rande. Denn genau
besehen kann es keinen Zweifel geben: Die Haltestelle
"Utopie" wird hier allenfalls besichtigt. Doch
schon lange nicht mehr angefahren.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
22. November.2009, Nr. 47 |