Kleiner Mann mit großem Bart, das ist Max
Weinberg. Alter Mann mit Kinderseele, auch das ist Max
Weinberg. Fast täglich kann man den Maler, in sein
graues Haar eingesponnen, hinter der pinkfarbenen
Sonnenbrille verschanzt durch die Frankfurter Innenstadt
tigern sehen. Was er so malt, klebt in Schichten auch auf
seiner Hose und auf dem Schlabber-T-Shirt. Wie ein
lebendes Graffito gehört er zu Frankfurt, und das seit
50 Jahren.
Trotzdem muss Max Weinberg hier noch entdeckt werden.
Darum ist er aus der Abgeschiedenheit seines Ateliers an
der Ostparkstraße mitten ins Leben, in den malerischen
Sachsenhäuser Hinterhof an der Schulstraße 1a
umgezogen. Knall auf Fall kommen einem da jetzt in der
Ausstellungshalle seine Kopffüßler und Augenwesen,
achtbrüstige Frauen und dreibeinige Männer, speiende
Hasendrachen (oder Drachenhasen?) und züngelnde
Engelnixen entgegen. Etwas überirdisch halt. Aber auch
"eine Galerie unserer Gesellschaft". Am
liebsten in Pink, gern auch Giftgrün und Knallblau.
"Cool", und "ziemlich geil", wie es
die jungen Leute ausdrücken, mit denen Max Weinberg bei
seinen Streifzügen durch Frankfurt so spricht. Auf jeden
Fall "nicht so akademisch-ästhetisch", dagegen
hat der Maler was.
Das wäre nämlich das letzte, das passen würde zu der
Welt, dem Kosmos, den er in sich trägt. Als 1928 in
Kassel geborener Jude, als Palästina-Flüchtling (1935),
als unehrenhaft aus der israelischen Armee Entlassener
(1948), als Rückkehrer (1959). Wüste Hakenkreuze, die
sich zu Menschen auswachsen, wilde Vergewaltigungsszenen
hat Weinberg in früheren Jahren seines
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Schaffens auf
Papier und Leinwände gehauen. Als "einer, der als
Kind nur knapp dem arischen Selektionsblick entkommen
ist", wie er in dem kiloschweren Katalog preisgibt,
den ihm Sponsoren finanziert haben.
Ein Atelier zum 80. Geburtstag
"Ich bin von dem anderen Planeten", sagt Max
Weinberg, "deshalb passe ich für manche auch nicht
zum Kontext". Nicht in die hoch subventionierte
Frankfurter Kunst- und Museumsszene zum Beispiel, wo ihm
führende Köpfe auf Ausstellungswünsche hin Absagen
geschrieben haben. "Wenn hier New York wär',"
meint der wilde Maler, "wär' hier morgen schon
alles weg", leergekauft. Er sieht das als die
Gesetzmäßigkeit vom Propheten, der im eigenen Land
nichts gilt, er nimmt Frankfurt nichts übel - im
Gegenteil: Seit 15 Jahren subventioniert ihm die Stadt
sein 100-Quadratmeter-Atelier, das er für 230 Euro warm
mieten kann - "in keinem Land der Welt kriegen Sie
das".
Und jetzt, zum 80. Geburtstag, hat sie sich ja aufgetan,
die Nische, in die Weinberg reinpasst. In der von Robert
Bock kuratierten Ausstellungshalle eröffnet er heute
Abend sein "Atelier Weinberg" "und kann
dort bis 31. August täglich von 16 bis 21 Uhr besucht
werden", teilt das städtische Presseamt mit.
"Gell, Bock", ruft Weinberg seinem Kurator zu,
und überfliegt dabei mit den Augen die Produktion von 15
Jahren an den Wänden - "besser als die
Schirn!"
CLAUDIA MICHELS
Frankfurter Rundschau, 4. Juni 2008 |
Eigentlich hätte Max Weinberg
Rabbi werden sollen. So sah es die Tradition vor, als der
kleine Junge 1935 die Talmudschule in Jerusalem besuchte.
Der heute 80-jährige kannte ab schon als Kind seine
wirkliche Berufung: "Ich wusste mit sieben, dass ich
Maler werden wollte."
Als solcher wird er anlässlich seines runden
Geburtstages mit einer besonderen Ausstellung in der
Stadt geehrt, in der er seit knapp 50 Jahren lebt und
arbeitet. Unter dem Titel "Spielraum der
Phantasie" hat der Künstler bis zum 31. August sein
Atelier in die "AusstellungsHalle" in
Frankfurt-Sachsenhausen verlegt.
Weinberg, der unablässig und bis in die Nacht hinein
malt, lässt sich bei seiner Arbeit über die Schulter
schauen, erklärt, erzählt und diskutiert. Zu den
optischen Reizen der zahlreichen bunten Bilder mit viel
Pink und anderen grellen Farben gesellt sich laute Musik,
vorzugsweise von "Genosse Beethoven", wie
Weinberg seine große Inspiration nennt: "Bei dem
ist immer was los." Ein riesiges Porträt des
Komponisten ziert die Rückwand der Halle. Wie bei fast
allen Bildern, von DIN A 4-Blättern bis zu gigantischen
Gemälden, lohnt sich genaues Hinsehen.
In den Graffiti ähnlichen Darstellungen von
"Manager mit 400 Blutdruck",
"PR-Lady", "Model",
"Chefsekretärin" oder "Domina"
erkennt der Besucher erst auf den zweiten Blick, wie
genau Weinberg mit scheinbar plakativen Methoden
Feinheiten des Ausdrucks mit seinem Pinselstrich erfasst.
Die Bilder strotzen vor Humor und Ironie, und sind
zugleich klare Statements "gegen Gewalt,
Sexismus, Rassismus".
Weinberg, der in Leipzig unter dem Titel
"Megafett" ausstellte, will "Hemmschwellen abbauen, auch für die, die sonst nichts
mit Kunst zu tun haben". Er fordert seine Besucher
auf, seine Kunstwerke in die Hand zu nehmen, neu zu
ordnen, herumzuwühlen: "Die Leute sind happy, dass
hier der Künstler mit ihnen spricht.
Das kennen sie sonst nicht."
So bunt wie seine
Kunstwerke und seine eigene Erscheinung ist auch der
Lebensweg des im Januar 1928 in Kassel geborenen
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Malers. 1935 flüchtete der Jude mit sieben anderen
Familienmitgliedern über Belgien nach Tel Aviv. Als
13-Jähriger verkaufte er dort Bilder auf der Straße und
eröffnete 1945 sein erstes Atelier in einer Baracke am
Strand. 1948 wurde er zum Militär eingezogen, nach
Befehlsverweigerung, Arrest und Hungerstreik unehrenhaft
entlassen. Seit 1954 studierte Weinberg in Tel Aviv
Malerei, bevor er sich 1959 zur Rückkehr nach
Deutschland entschloss: "Nach dem Abschluss der
Akademie sah ich im Nahen Osten keine Perspektive mehr
für meine künstlerische Weiterentwicklung."
Frankfurt liefert der "Stadtratte", wie
Weinberg sich bezeichnet, viele Inspirationen. Aber der
quirlige kleine Mann mit seinen bunt besprühten
Klamotten und seinem weißen Rauschebart fällt auch auf,
wenn er tagsüber oder nachts durch die Stadt zieht.
"Ich bin von einem anderen Planeten", sagt
Weinberg, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
"Meine Malerei entspringt meinem Inneren."
Viele Bilder sind Kommentare zu aktuellen Zuständen und
insbesondere zu Missständen, etwa in der Werbe-, Finanz-
oder Medienwelt. Dass bei der Masse der Bilder, bis zu
500 Blätter pro Woche "produziert" er, nicht
alles klasse sein kann, weiß Weinberg. " Ich mache
sehr viel Schrott, um ein paar Diamanten
"rauszupinkeln"".
"Es macht mich happy, die Klischees der
Spießbürger durcheinanderzuwürfeln", sagt der
Paradiesvogel, der stolz seine Visitenkarte überreicht,
und sich über den "Kanalarbeiter" in seiner
Ausstellung ebenso freut wie auf die
Oberbürgermeisterin. Ihr wird er sicher von seiner Idee
erzählen: "Meine große Skulptur
"Überirdische Frau" vor der Alten Oper, das
wäre die Touristenattraktion." Wenn daraus nichts
wird, so hat Weinberg doch mit der großen, vom
Jüdischen Museum unterstützten Ausstellung und einem
üppigen Katalog, Anerkennung gefunden, die ihn spürbar
glücklich macht. Der nun erhoffte "große
Durchbruch" käme für den 80-Jährigen keineswegs
zu spät. Schließlich will er 120 werden.
Feuilleton der Frankfurter Rundschau vom 13.August 2008 |